Wenn du das Allernötigste in die Gepäckrollen stopfst und dir dabei im Nacken ganz heiß wird. Wenn du deine Maschine aus der Garage schiebst und deine Hände schwitzen. Wenn du deinen Helm aufsetzt und dein feucht-zittriger Atem das Visier sofort beschlagen lässt. Wenn du dein Bein über die Sitzbank schwingst und dir der wummernde Zylinder die Eier schaukelt. Dann weißt du, dass die nächsten Wochen richtig krass werden. Du kannst nichts planen, außer dass es verdammt hart wird!
Die Motorradtour im Sommer 2011 sollte das längste und extremste werden, das wir je geplant hatten. Nach meinen Abiturprüfungen hatte ich besonders viel Zeit, weshalb ich sehr flexibel war und mich auf Chris' Urlaubszeit einstellen konnte. Geld und Urlaub reichten voraussichtlich für über 3 Wochen, und so beschlossen wir Istanbul als entferntestes Ziel zu markieren. Dass wir dann doch noch viel weiter kamen, in einer Moschee übernachteten, in Albanien womöglich Katzenfleich aßen und jede Menge neuer Freundschaften schlossen, konnten wir vor Tourbeginn noch nicht ahnen.
Tag 1: Heizen
Kurz vor Tourbeginn erfuhr Chris, dass sein ehemaliger Chef eines Nebenjobs, Ayhan, auch zusammen mit zwei Kumpels in die Türkei fahren würden. Am ersten Tag unserer Reise fuhren wir zu dem gebürtigem Türken irgendwo in München und ich lernte nun auch die 3 Burschen kennen. Ayhan, Michi und Sigi, alle drei auf modernen, voll ausgestatteten BMW-Maschinen unterwegs. Ihre Absicht war es, noch am selbigen Tag den Plattensee in Ungarn zu erreichen. Wir durften also keine Zeit verlieren, starteten die Maschinen und verließen Deutschland über die Autobahn. Einen ersten Tankstopp gab es natürlich in Österreich, wo der Sprit noch zu akzeptablen Preisen gehandelt wird. Nun fand ich endlich mal die Gelegenheit unsere 3 älteren Herren auf ihren BMWs kennen zu lernen. Ich nutzte die Chance, um ihnen auch mitzuteilen, dass ich nicht mehr als letzter fahren sollte, da ich mit meiner (extra für diese Tour gekauften) Suzuki DR800 den nötigen Speed nicht aufbringen kann, um hinten mitzuhalten. Freundlicherweise ließ man mich nun an zweiter Stelle fahren. Das Überqueren der Grenze von Österreich zu Ungarn ist definitiv ein Spektakel. War auf der einen Seite der Straßenbelag ohne Mängel, die Stromleitungen unter der Erde und moderne, schicke Häuser, so ändert sich das alles schlagartig, nachdem die blaue EU-Tafel das ehemals kommunistische Land angekündigt hat. Ähnlich, oder vielleicht noch ein bisschen schlimmer wie in Italiens Osten, begrüßte uns Ungarn mit langen, endlos geraden Straßen. Jeweils daneben alte, kaputte Häuser und Rentner, die uns interessiert hinterher schauten. Mit ungewöhnlich hohem Tempo grasten wir ein Dorf nach dem anderen ab, bis uns allen tatsächlich die Arschbacken wund waren. Es war definitv Zeit für eine kleine Pause und deftiger Mahlzeit.
Ich sah schon die Sonne schräg stehen, doch unsere BMW-Fahrer waren in einem unheimlichen Stress, da sie viel weiter in die Türkei fahren wollten, als wir. Eigentlich wäre ich schon in der Stimmung gewesen, einen Schlafplatz zu suchen, doch ich ließ mich überreden noch weitere x-Hundert-Kilometer weiter zu fahren. Als die Sonne schon den Horizont berührte und ich meine Chancen auf einen ordentlichen, kostenlosen Schlafplatz schwinden sah, kam endlich die Erlösung, dass wir uns jetzt trennen könnten. Unsere BMWs würden sich ein günstiges Hotel suchen, Chris und ich in gewohnter Manier nach einem gemütlichen Garten. Leider war es, wie damals in der Horrornacht in Südfrankreich, schon zu spät und einige Familien schickten uns vom Gartenzaun davon. Stattdessen folgten wir einem unglaublich lautem Motorengeräusch im Industriegebiet und erhielten eine Privatshow des ungarischen Stunt-Fahrers Mokus auf einer höllisch kreischenden Rennmaschine. Er und seine Freunde trainierten auf einer verlassenen Straße und filmten sich dabei. Völlig egal, ob mit einem oder zwei Reifen auf der Straße, der junge Mann beherrschte seine Stunts, drehte das Motorrad in alle Richtungen, hüpfte oder versuchte gleichzeitig mit den Händen den Boden zu berühren, während sein Knie oder ein anderes Körperteil am Gashahn zog. Wir fragten die jungen Männer, ob sie eine günstige Pension für uns kennen und man empfahl uns die Herberge "Fiat". Einer der Männer regelte alles für uns per Handy mit der Besitzerin, die uns sogar noch nachts freudestrahlend erwartete. Wir durften unsere Zweiräder in der unter der Herberge liegenden Autowerkstatt einsperren, denn, so machte sie uns mit Gestiken klar, hier sei es schon ein wenig gefährlich. Eigentlich wollten Chris und ich den Tag noch mit einem Bier ausklingen lassen, jedoch schlief ich nach ein paar Schlücken im bequemen Bett ein und erholte meinen schmerzenden Rücken. Was für ein erster Tag!
Tag 2: Klar hat der ne Kupplung daheim liegen
Am nächsten Morgen verabredeten wir uns mit den BMW-Fahrern, die auch wieder munter und ausgeschlafen auf ihren Rössern thronten. Ausgerüstet mit den besseren Navis und einer ungeheuren Motivation, Ungarn so schnell wie möglich hinter uns zu lassen, fuhren sie erneut voraus und gaben das Tempo vor. Gegen Mittag jedoch, als ich vor einem Kreisverkehr abbremsen und daher auch runter schalten wollte, konnte ich den Ganghebel weder nach unten, noch nach oben drücken. Verdutzt und schaukelnd fuhr ich lieber auf die davor liegende Verkehrsinsel und signalisierte den Anderen zum Anhalten. Jeder wollte einmal Probe sitzen um sich zu versichern, dass ein Hoch- oder Runterschalten nicht mehr möglich sei. Oder war ich einfach nur unfähig das Motorrad zu bedienen? Chris, der - wie auch immer - der einzige noch war, der mit Gewalt schalten konnte, fuhr mein Motorrad zur nächsten Tankstelle. Ratlos standen nun 5 gestandene Männer um meine DR800 herum, und jeder hatte eine andere Idee, was die Ursache dafür sein könnte. Ich kam etwas ins Schwitzen, da ich befürchtete, wir müssten unsere große, lange geplante Istanbul-Tour abbrechen. Unsre BMW-Biker, welche mit wesentlich mehr Eile den Osten der Türkei erreichen wollten, wünschten uns noch viel Glück und ließen uns ratlos zurück. Auch ein Anruf beim ADAC, der mir schon häufig in verschiedenen Situationen einen Rat geben konnte, war diesmal keine Hilfe. Abschleppen und in eine teure Werkstatt? Abwarten bis uns eine neue Kupplung gesendet wird? Das würde alles viel zu viel Zeit kosten, denn das Erreichen von Istanbul war allerhöchste Priorität. Und es kam, wer hätte es anders erwartet, die Rettung um die Ecke. Ein Mann mit leichten Deutschkenntnissen erkundigte sich bei uns, was das Problem sei. "No problem", antwortete er, denn er habe genau die benötigte Kupplung daheim liegen. Natürlich hat der genau die passende Kupplung daheim rumliegen, warum auch nicht? Ich hatte meine Zweifel, doch der Ungare gestikulierte hektisch. Angeblich hätte er ein großes Warenlager und verkaufe allerhand gebrauchte Zweiradteile über eBay nach Deutschland. Welch ein verdammter Zufall! Ich stattete Chris mit einigen Kojambeln (aufgrund der vielen verschiedenen Landeswährungen auf dieser Tour, einigten wir uns darauf, die jeweils aktuelle Währung "Kojambel" zu nennen) aus und er fuhr dem netten Osteuropäer und seiner schäbigen Kiste hinterher. Ich musste natürlich bei meiner Maschine bleiben und hielt die Stellung. Ob ich mir ein wenig Sorgen machte um Chris? Selbstverständlich! Nachdem er gesund zurückkam schoben wir das dicke Flaggschiff hinter die Tankstelle und legten sie auf einem grünen Seitenstreifen zur Seite. Ab jetzt konnte ich Chris nur noch seelisch zur Seite stehen, die mechanische Operation am Herzen des Getriebes musste er alleine durchführen.
Wenn ich mich auf jemanden verlassen kann, dann auf meinen Schrauberkumpel Chris! Er demontierte die alte, verschlissene Kupplung in einer Geschwindigkeit und Routine, als hätte er es schon einmal gemacht. Und genauso setzte er die neue ein. Enttäuscht stellten wir dann aber doch fest, dass auch der Austausch keinen Erfolg brachte und es immer noch sehr schwergängig war, zu schalten. Gut, vielleicht war eine minimale Verbesserung zu spüren. Müssen wir die Tour abbrechen? Diese Frage hing wie ein Damokles-Schwert über unseren Köpfen. Ich war sichtlich unzufrieden mit der Situation und so setzte ich meinen Willen durch, eine Werkstatt aufzusuchen. Mit Hilfe des ADAC fanden wir einen Suzuki-Vertragshändler doch mit einer schnellen Lösung konnte der nicht aufwarten. Stattdessen schickte er uns in einen Motorradschuppen und wir versuchten dort unser Glück. Auch dieser Schrauber war nach Erklärung der Lage ratlos. Nur Chris hatte die Idee, man sollte vielleicht einmal das Motorenöl tauschen, falls dieses die Lamellen der Kupplung angegriffen habe. Der Mechaniker wechselte das Öl, wofür er nicht einmal viel Geld verlangte, doch es war wieder nicht die Lösung des Problems. Wenn überhaupt, gab es eine leichte Verbesserung. Allerdings lernte ich auch mehr und mehr damit umzugehen, fand heraus in welchem Moment das Schalten noch am Einfachsten war. Irgendwie traute ich der Sache aber nicht. Dennoch war es an der Zeit wieder einen Schlafplatz zu finden. Etwas außerhalb der Stadt zückte ich meinen Ungarischduden und übersetzte damit Wort-für-Wort unsere Anfrage in ein wahrscheinlich fürchterlich klingendes Gulasch. Wir wurden zweimal weitergeschickt und ein drittes Mal, sollten wir einem Berg zu einer Jugendherberge (oder war es ein Waisenheim?) hochfahren. Wir stoppten davor und mit enormer Neugier schossen kleine und größere Kinder auf uns zu und umlagerten die Fremden. Sie tatschten uns an, berührten die Blinker als auch die Spiegel und wir hatten allerhand damit zu tun, sie von den heißen Auspüffen fern zu halten. Die Leiterin schrie nach einem Mädchen, welche herbei eilte. Sie hatte braune Haare, ein weißes Stirnband in den Haaren und ich schätzte sie auf etwa 12 Jahre. Mit gebrochenem Deutsch - aber dennoch genauso erstaunlich - stellte sie sich vor und fragte, wie wir heißen, was wir wollen. Ohne Mühe verstand sie unsere Antwort und übersetzte diese ihrer Betreuerin. Leider jedoch, wurde uns eine Absage erteilt, auch nicht auf der Grünfläche gegenüber war es möglich zu campen. Mit vereinten Kräften erklärten sie uns den Weg zu einem Haus, wo wir anfragen sollten. Das Ehepaar besaß eine Pension zur Vermietung und daher dauerte es, bis sie verstanden, dass wir doch nur kostenlos auf einer Wiese schlafen möchten. Und tatsächlich, sie erlaubten es! Wir durften sogar unsere Bikes in ihrem Schuppen versperren, damit sie keiner klauen konnte. Diesen höllisch langweiligen Tag an der Tankstelle und im Motorradschuppen klangen wir gemeinsam mit einer Flasche Rotwein und Drehtabak aus und gingen dann im Zelt schlafen.
Tag 3: Zu Gast im schönsten Garten Rumäniens
Am nächsten Morgen wurden wir von warmen Sonnenstrahlen wach geküsst. Wir krabbelten aus dem Zelt und machten uns zur Abfahrt bereit, als ein älterer Herr, ein Deutscher, bei uns auf der Wiese vorbei schaute. Wie so häufig schon, war er sehr interessiert, was wir hier machen und er konnte nicht anders, als uns zum Frühstück einzuladen. Zusammen mit seiner Frau tranken wir Kaffee und unterhielten uns prächtig, da er auch die ein oder andere Geschichte aus der DDR auspackte und wie es damals noch war, Urlaub in Ungarn zu machen. Endlich wieder auf den Bikes gaben wir ordentlich Gas auf den langgezogenen Straßen und knackten am späten Nachmittag Rumänien. Immer noch fuhren wir manchmal mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Ortschaften. Doch das sollte sich bald rächen, denn gegen abends wurden wir deswegen von einer Polizeistreife herausgezogen. Die Männer in blau überprüften unsere Personalien und schrieben ihre Knöllchen aus. Chris konnte den geforderten Betrag (~ 35€) gleich passend in Kojambeln bezahlen, aber so viel Glück hatte ich nicht. Daher versprach mir der Polizist, ich könne die Strafe bei jeder Bank bezahlen und diese würden den Rest der Angelegenheit für mich regeln. Dass sich das als unwahr herausstellen wird, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht und genauso, welche Probleme uns das noch bringen würde. Zum Abschied, bevor die netten Herren wieder in ihren Wagen stiegen, rief uns einer mit hochgestreckter Hand, die eine fünf zeigte, zu "funffzig, verstehen? Funnfzig!". "Ja, ich habe verstanden", raunte ich genervt. Obwohl uns die zwei Verkehrshüter schon genügend Geld aus den Taschen zogen, wollten wir an diesem Abend eine warme Mahlzeit im Bauch haben und hielten an einem Imbiss seitwärts der Hauptstraße an und gönnten uns Schnitzel mit Pommes inkl. Getränk für ein paar wenige Kojambel. Gestärkt machten wir uns auf die Weiterfahrt und Chris schickte mich voraus, um einen geeigneten Garten zum Schlafen zu finden. Die allermeisten Anwesen allerdings, waren nicht sonderlich vertrauenserweckend und so dauerte die Suche noch ein wenig an.
Als wir dann aber an einem vielversprechenden Gartenzaun vorbeirauschten, drehte ich um und teilte Chris mit, mein Peilsender hätte Alarm geschlagen. Chris rief mir zu "Wo denn? Wo willst du denn hier unterkommen?". Ich war mir aber so sicher, dass ich mich durchsetzte und so fuhren wir ins Nachbardorf zurück. Wir mussten nicht einmal klingeln, da kam mir eine kleine pummelige Frau, mit herunterhängendem Busen unter ihrem T-Shirt, lächelnd zum Gartenzaun entgegen. Ich zückte diesmal den Duden für Rumänisch und formte die Frage, ob wir für eine Nacht in ihrem großflächigem Garten schlafen dürften. Beide willigten ein und wir konnten unsere Zweiräder auch auf der Wiese abstellen, was auf jeden Fall sicherer war, denn man warnte uns vor den angeblich so gefährlichen Zigeunern. Zusammen nahmen wir Platz im Garten und lernten uns bei einem Kaffee kennen. Sofort fragte die Frau, ob wir denn etwas zu Essen haben möchten, doch wir aßen ja schon im Imbiss entlang der Hauptstraße. Der Mann packte nun ein paar Deutschkenntnisse aus und erklärte, sie müssten für eine halbe Stunde zu seinem Onkel. Wir mögen uns doch bitte einfach wohl fühlen. Das war für uns die Gelegenheit die Sachen von den Motorrädern abzunehmen und diese mit unseren zig Schlössern zu sichern. Dabei schoss Chris auch ein paar schöne Fotos von dem Anwesen und wir fanden einen Gemüsegarten als auch einen kleinen Schweinestall hinter dem Haus.
Als das nette Ehepärchen vom Onkel zurück kam, wurde uns ersteinmal klar gemacht, dass wir auf gar keinen Fall im Garten schlafen müssten. Sie führten uns durch ihr bescheidenes, aber schön eingerichtetes Haus und zeigten uns das Gästezimmer. Besorgt fragte die Frau, ob sie die Laken wechseln müsse, doch wir wiegelten ab. Als sie uns jedoch ihr sehr kleines Schlafzimmer zeigten, waren wir verunsichert und hatten die Befürchtung, die zwei würden speziell für uns in den ersten Stock auswandern. Ein zweiter Blick in den für uns als Gästezimmer präsentierten Raum bestätigte sich und wir bekamen wie so oft ein schlechtes Gewissen. Obwohl der Mann ja etwas Deutsch verstand, konnten wir ihm nicht verständlich machen, wie dankbar wir für deren Schlafzimmer seien, dies jedoch nicht nötig sei, dass er und seine Frau für uns in ein anderes Bett ziehen. Doch wir konnten es den zwei netten Menschen nicht erklären und so nahmen wir das Angebot an. Nun wurden wir im Wohnzimmer zu Platz gebeten und die nette Hausfrau bot uns erneut Essen an. Natürlich versuchten wir dies zuerst abzulehnen, doch, als man uns erklärte, der Schinken sei von den Schweinen, die hinter dem Haus quakten, konnten wir wohl kaum ablehnen. Doch nicht genug, danach schnitten sie für uns noch eine Melone auf und so wäre das den ganzen Abend weiter gegangen, wären wir nicht frühzeitig schlafen gegangen. Während des Gesprächs erfuhren wir, dass der Mann immer wieder für einige Monate nach Deutschland geht, um dort kleinere und größere Jobs anzunehmen, zum Beispiel arbeitet er manchmal auf Baustellen. Nur deshalb könnten sie sich ein etwas größeres Anwesen hier leisten und damit die Renovierung sowie einen Anbau an das Haus finanzieren. Seit dieser Erfahrung muss ich an diesen Mann denken, wenn ich osteuropäische Bauarbeiter auf Baustellen sehe und betrachte sie somit auch mit einem anderen Blickwinkel. Wirklich beeindruckend!
Tag 4: Deutsche Terroristen?
Am nächsten Morgen weckte uns der herrlich frische Kaffeeduft, der im ganzen Haus umher schwebte. Wie selbstverständlich wurden wir an den Esstisch gebeten und man erkundigte sich nach unserem Schlaf, der wirklich hervorragend war. Nach einem angemessenem Biker-Frühstick schenkte uns der Mann eine Stange Salami, die natürlich von den eigenen Schweinen stammte. Sie war so lang und auch in der Hitze überlebensfähig, dass wir daran noch 3 weitere Tage aßen. Nach einem Gruppenfoto und herzlichem Abschied, starteten wir unsere Bikes und stachen in die Mitte Rumäniens. Nun, mit etwas mehr Kurven, machte uns das Fahren gleich noch mehr Spaß, doch diesmal hielten wir uns an die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Warum wohl?
In einer Kleinstadt besuchte ich dann eine Bank, um eben das gestern ausgestellte Knöllchen zu bezahlen. Die Angestellte jedoch konnte mit meinem Anliegen nichts anfangen und schickte mich aus der Filiale. Na gut, ich hatte ja noch ein ein wenig Zeit, zu bezahlen. Würde ich jedoch zu lange warten, dann verdopple sich das Bußgeld, so waren die Worte des Polizisten. Ohne besondere Vorkomnisse fuhr ich Chris hinterher und vertraute seinen Fähigkeiten im Lesen von Karten. Gegen abends dann das altbekannte Spiel. Nach ein paar Absagen, probierte ich es an einem Anwesen mit hohem Gartenzaun. Das erfüllte zumindest unsere Sicherheitsansprüche, jedoch rechnete Chris mir keine Chancen aus. Zu unserem Glück wurde die Familie gerade von Verwandten besucht, die in Deutschland leben und daher perfektes Deutsch sprachen. Dem alten Rumänen sah ich schon an, er würde uns gerne einladen und seinen Wodka an uns ausprobieren, doch gerade die deutsch-sprechende Frau machte ihre Sorgen kund und verunsicherte die anderen Bewohner. Wir zeigten unsere Peronalausweise und erklärten das System unserer Motorradtouren noch einmal ganz ruhig. "Heutzutage mit all diesen Terroristen, müsse man schon sehr vorsichtig sein, wen man in seinen Garten lässt", wurde uns erklärt. Mein Kumpel und ich mussten fast lachen. Wir? Deutsche Terroristen, die um eine Schlafplatzerlaubnis im Garten bitten? Wären wir Terroristen, hätten wir dann nicht die Möglichkeit, das Haus mitsamt Garten und Zaun in die Luft zu sprengen, auch ohne Genehmigung auf der Wiese zu campen? Wirklich sehr spektakuläre Sorgen! Natürlich konnten wir dennoch mit unserem freundlichen Lächeln überzeugen und so öffneten sich für uns die großen, schweren Metalltüren. Nach Aufschlagen des Zeltes wurden wir auf einen Kaffee eingeladen, doch daraus wurde dann rumänischer Wodka. Offensichtlich selbst gebrannt, da er sich in einer Flasche ohne Etikett befand und der alte Herr mit breitem Grinsen immer wieder nachschüttete, wenn wir nach Absetzen des Glases zu Husten anfingen und unser Rachen als auch der Magen brannte. Zu unserer größten Überraschung befanden wir uns plötzlich zu Abend essen mit der misstrauischen Familie und sie hörten gespannt unseren Erzählungen zu, die die deutsch-sprechende Frau übersetzen konnte. Mit der Bitte leise und sauber zu bleiben, wurden wir dann bei einbrechender Dunkelheit in den Garten hinaus gelassen. Wir setzten uns dann allerdings noch für eine Weile auf die Treppe der Terrasse und öffneten eine Flasche des rumänischen Rotweins, die wir zuvor gekauft hatten, und rauchten dazu ein paar Zigarillos aus Chris' Survivalpackage.
Tag 5: Bulgarien, ohne Worte!
Ein Tag, der sehr langweilig begann, und uns zu anfangs auf ewig geraden Landstraßen Richtung Rumäniens Haupstadt Bukarest führte, sollte einer der Höhepunkte werden auf unserer Motorradtour. Es war nun der letztmögliche Tag meine Schulden bei der hiesigen Polizei zu begleichen, ohne dass der doppelte Betrag fällig werden würde. So erinnerte ich Chris daran, in der nächsten Kleinstadt bei einer Bank anzuhalten. Dort versuchte ich erneut, wie damals von den Gesetzeshütern empfohlen, das Bußgeld zu bezahlen. Ich musste lange warten, Chris langweilte sich derweil draußen und bewachte die Bikes, doch wieder konnten die Bankangestellten meiner Bitte nicht nachkommen. Das gleiche Problem bei der örtlichen Polizei, die das Geld für eine andere Station aus einer anderen Region nicht annehmen wollte. Ortskundige führten uns zum Rathaus, doch auch dort wiegelte man ab und schickte uns zu einem weiteren amtlichen Gebäude, die mich wieder wegschickten. Die Frau hatte Mitleid mit mir und erklärte mir den Weg zu einer weiteren Behörde, bei der ich mit Sicherheit bezahlen könne. Und zu unserer Freude bewahrheitete sich diesmal die Empfehlung. Ich legte die Kojambel auf den Tresen und lies mir für alle Fälle eine Quittung ausstellen, die ich noch heute besitze und daheim zu den Fundstücken und Souvenirs dieser Tour legte. Jedes Mal musste Chris draußen in der sengenden Sonne warten und seine Stimmung verschlechterte sich zusehends. Irgendwann erreichten wir dann Bukarest und fühlten uns in der Großstadt trotz gutem Kartenmaterial und zwei Navigationssystem ziemlich verloren. Per Zufall erspähte Chris das Bukarester Hard Rock Cafe und wir gönnten uns dort eine Rast. Die verschwitzte Kleidung knallten wir auf die Stühle und nahmen auf der schattigen Terrasse in den bequemen Sesseln Platz. Die dortigen Mitarbeiter sprachen ausgezeichnetes Englisch und wir fühlten uns herzlich willkommen. Zum Vorteil von Chris konnte er mit seinem Smartphone den W-Lan-Zugang des Cafes nutzen und führte ein kurzes Skype-Gespräch mit seinem Vater.
Was auch unsere Stimmung aufhellte, waren die eiskalte Cola und die berühmten hübschen rumänischen Mädchen in kurzen Kleidern und Röcken. Das Bukarester Hard Rock Cafe bot alles, was das Bikerherz begehrt. Ein Blick auf die Landkarte verriet uns eine frohe Botschaft: Würden wir nicht allzu lange trödeln, könnten wir heute noch Bulgarien knacken und vielleicht würden wir die BMW-Biker wieder einholen, denn diese planten eine zweitägige Rast an Bulgariens Küste in Sozopol. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Nacht schon in Bulgarien verbringen wollte, denn mit diesem Land verband ich extreme Armut und eine hohe Kriminalitätsrate, weshalb es mir durchaus recht gewesen wäre, einen weiteren Schlafplatz in Rumänien zu finden. Dieser fälschliche Eindruck entstand womöglich auch durch die deutsche Medienberichterstattung, denn wir lernten das Land von einer ganz anderen Seite kennen. Vorbei an Bukarests Regierungsgebäude, eilten wir aus der Stadt und überquerten später auf einer langen Brücke die Donau, was auch gleichzeitig das Überqueren der rumänischen Landesgrenze bedeutete und mit Hupen kündigten wir uns gegenseitig an, dass wir in Bulgarien angekommen waren, und das schon am fünften Tag! Auf der anderen Seite erwartete uns die bulgarische Grenzstadt Ruse, welche nicht gerade durch Schönheit besticht. Ganz im Gegenteil, die hohen, zerfallenen Blockhäuser (wahrscheinlich noch aus der Zeit des Kommunismus) lassen die Stadt in einer sehr hässlichen, erbärmlichen Erinnerung zurück. Dies bestätigte meine Vorurteile, man müsse gerade in Bulgarien sehr vorsichtig sein und ich fand noch kein Vertrauen zu diesem Land.
Endlich raus aus der Stadt, teilten wir von nun an die Landstraße mit Pferdegespannen und Kutschen. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit und sehr eindrucksvoll, wie Menschen im angeblich so moderen und reichen Europa leben (müssen). Als schon die Dunkelheit einbrach, fuhr ich auf eigene Faust von der Hauptstraße ab, hinein in ein kleines Dorf. Ich hielt an einem Haus an, das zumindest vor dem Gartenzaun etwas Wiese darbot. Wir stiegen von den Motorrädern ab und Chris schaute mich mit zornigem Blick an. Er würde hier sicher nicht übernachten, waren seine Worte, doch irgendetwas verriet mir, das wir genau richtig waren. Ein Mann, der gerade seine Pflanzen im Garten bewässerte, öffnete das Türchen und bat uns herein, ohne überhaupt gefragt zu haben, wer wir sind oder was wir wollen. Bobby, so stellte er sich vor und erinnerte seine Frau daran, Kaffee und Plätzchen auf die Terrasse zu bringen und wir nahmen Platz. Mit ein paar Brocken Deutsch unterhielten wir uns, denn er wollte wissen wo wir her kämen und was das nächste Ziel sei, aber - man beachte - der Mann war immer noch nicht daran interessiert, warum wir vor seinem Gartenzaun anhielten. Ganz im Gegenteil, er genoss einfach nur die spontane Gesellschaft, ohne zu wissen, was unser eigentliches Anliegen war. Per Handy rief er seinen Bruder herbei, der noch ein bisschen besser Deutsch sprach und auch mit diesem tauschten wir die Basisinformationen aus. Wir waren sehr dankbar für die Gastfreundschaft, die von dieser Familie ausging und ich fühlte mich umso bestätigter, dass wir hier schlafen könnten. Doch Chris traute dieser Situation noch nicht. Warum ließ uns dieser Mann in seinen Garten, lud uns auf einen Kaffee ein und wollte noch nicht einmal wissen, warum wir vor seinem Grundstück anhielten? War das nicht suspekt? War das nicht ein Zeichen, dass wir hier heute Nacht vielleicht sogar ausgeraubt werden? Ich stellte meinen Road Captain vor die Wahl: Entweder wir fahren jetzt, oder ich packe unser Anliegen aus. Mit Nachdruck versicherte ich ihm, dass ich ein gutes Gefühl habe und deshalb waren wir uns einig, die Familie über unsere Schlafplatzsuche zu informieren. Bobby und sein Bruder hatten ein gutes Gespür dafür, was in uns vorging und so kam es, dass man uns anbot, in der im ersten Stock liegenden Wohnung zu schlafen und die Zweiräder durften wir innerhalb des Anwesens parken und absperren, dennoch versicherten sie uns, hier gäbe es "kein Zappzarapp". Wir wurden durch die obere Wohnung geführt und konnten eines von drei eingerichteten Schlafzimmern auswählen. Sofort fiel uns ein schlechter Geruch auf, der uns noch in weiteren Wohnungen begegnen wird. Das soll dabei keinerlei Kritik darstellen, aber diesen chemischen, womöglich chlorhaltigen Geruch, werden wir noch häufiger feststellen. Es mag auch an deren Baumaterialien liegen. Bobby teilte uns mehrmals mit Freude mit, dass später sein Sohn, Bobby 2, nach Hause kommen werde, welcher sehr gutes Englisch spreche. Dies wird sich jedoch als Irrtum herausstellen. Wir richteten uns in unserer "eigenen" Wohnung ein und gingen dann zurück auf die Terrasse zu Bobby und seiner netten Frau. Chris und ich besuchten dann nacheinander die außenliegende Toilette: Ein kleines Holzhäuschen mit Plumpsklo in der Erde. Keine Kloschüssel zum Daraufsetzen, sondern zwei markierte Stellen für die Füße und man teilte das stille Örtchen mit tausenden von Schmeißfliegen, die ins "Loch" hineinflogen und glücklich wieder herauskamen. Ich möchte dazu sagen, dass das hier keine Kritik an deren Hygiene und Lebensumständen sein soll. Wir sind uns bewusst, dass Menschen in anderen Ländern, anders leben und meine Reiseberichte eben nur das Erlebte schildern. Zum Abendessen waren wir eine gesellige Runde: Bobby, seine Frau, sein Sohn Bobby 2 und ein in der Türkei geborener Kumpel. Die Herren hatten Freude daran, lokale Biersorten und Schnäpse auf dem Tisch darzubieten und wir versuchten nun mit Bobby 2s Hilfe bessere Gespräche zu führen, doch sein Vater verstand mehr Deutsch, als der Sohn angeblich Englisch. Gut, dass Chris und ich mittlerweile erprobt sind in Gesprächen mit Hand und Fuß und wir zeigten ihnen bereits geschossene Bilder auf unserer Motorradtour. Bobby 2 stand einmal auf und kam mit einem Poster wieder, das er uns stolz zeigte. Darauf war er im blauen Trikot mit der gesamten Mannschaft des deutschen Fußballvereins Schalke 04 zu sehen. Soweit wir ihn verstanden, spielte er für diesen Verein einige Monate. Eine Anfrage beim Schalke 04 nach der Tour ergab jedoch, dass man diesen Mann noch nie gesehen habe. So wissen wir nun auch nicht, was der Wahrheit entspricht.
Vor dem Schlafen gehen baten wir den türkisch-sprechenden Kumpel von Bobby 2, unser Anliegen der Schlafplatzsuche auf Türkisch auszuschreiben, damit wir, wenn wir in die Türkei reinfahren, keine Verständigungsprobleme haben. Er verstand uns augenscheinlich sehr gut und formulierte es aus, weshalb wir nun eine ideale Möglichkeit hatten, den Text auch nocheinmal auf Bulgarisch notieren zu lassen. Man weiß ja nie, wofür man das noch gebrauchen könnte.
Tag 6: Ein Bulgare, der sein Handwerk versteht
Herrlicher Kaffeeduft weckte uns an diesem Morgen und ließ uns vergessen, dass wir fern von der Heimat in einer Wohnung bei Fremden schlafen durften, und das in einem Land, vor dem man von neunmalklugen Deutschen mehrmals gewarnt wurde. Bulgaren seien egoistisch, hinterlistig, sie klauen und da wären noch die bösen Zigeuner, die uns die verchromten Felgen von den Motorrädern ziehen würden. Ach wirklich? Ein Blick zu den Bikes bestätigte das Gegenteil. Alles war noch da. Die Sonne prallte auch schon wieder morgens auf die Erde herab und es galt, die Gemütlichkeit abzulegen. Heute wollten wir auf jeden Fall die Hauptstadt Varna erreichen, dann wäre es nämlich nicht mehr weit zu unserem Treffpunkt Sozopol, den wir mit den BMW-Bikern ausgemacht hatten. Nach einer kleinen Verpflegung, sowie Körperpflege natürlich, bereiteten wir die Rösser zum Start vor und begaben uns danach wieder auf die Hauptstraße Richtung Küste. Vom Vorabend wussten wir noch, dass wir auf die zahlreichen Schlaglöcher und langsamen Pferdekutschen, die plötzlich hinter den Kurven auftauchten, Acht geben mussten. Genießen konnte ich die folgenden Kilometer jedoch nicht, da sich das Problem mit meiner schwergängigen Kupplung wieder verschlimmerte. So schruppten wir die anfallenden Kilometer einfach ab und ich hoffte auf kompetente Hilfe in der Hauptstadt. Schon ein paar Kurven vor der berühmten Stadt, fiel uns der enorme Wandel des Anblicks ins Auge. Offensichtlich wurden die Straßenverhältnisse wieder besser, die Häuser moderner und man sah einige, teure SUVs umher fahren. Unterwegs bekamen wir schon den Tipp, wir mögen in Varna nach einem bestimmten Motorradzubehörladen Ausschau halten. Relativ früh und noch lange vor dem Stadtzentrum gab Chris' Navi den Geist auf, bzw. teilte es verwirrende Angaben mit, die uns sicherlich nicht zu dem besagten Laden führen sollten. Ich steckte einem Taxifahrer ein paar Kojambel zu, teilte ihm die Adresse mit und machte ihm klar, dass wir mit den Bikes hinterherfahren würden. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er die Aktion nicht nachvollziehen konnte. Dort angekommen beschrieben wir der mehr oder weniger gut englisch-sprechenden Mitarbeiterin mein Problem. Sie stöberte im Computer nach wichtigen Teilen und rief uns einen, ihrer Meinung nach günstigen aber extrem kompetenten Motorradmechaniker herbei. Dieser kam mit Flip-Flops, einer Dreivierteljeans und einem verölten Shirt, sowie den Helm nicht einmal zugeschnallt, auf einer Rennmaschine daher. Die nette Mitarbeiterin des Ladens bot mir an, ich könne die Ersatzteile erst einmal borgen und nur diese, welche der Mechaniker austauscht, würde ich direkt bei ihm bezahlen (obwohl der Laden und der Mechaniker nicht zum gleichen Unternehmen gehörten, aber man kannte sich). Das Angebot war fair! Wir fuhren dem Schlurcher zu seiner Hinterhofwerkstatt hinterher, und wenn ich sage Hinterhofwerkstatt, dann meine ich das auch so. Inmitten eines seltsam aufgebauten Industriegebietes aus verschiedenen Branchen, mit zerfallenden Häusern, zerschlagenen Fenstern und leeren, rostigen Ölfässern, Gestank und Rauch, sowie rostigen, kaputten Stahltüren, als auch einem aufbröselndem Teerbelag, betrieb der junge Mann seine Zweiradwerkstatt. Mit Händen signalisierte er uns ein "ihr kommt später dran" und so warteten wir außerhalb des Kapuffs in der sengenden Sonne. Unser Mechaniker schraubte mal hier, mal da, an verschiedenen Rollern und seine Freunde halfen nach Gutdünken, ohne jedoch den Masterplan zu haben. Wir erfuhren später, dass seine Gehilfen alle arbeitssuchend waren, jedoch keinen Job fanden und aus Langeweile halfen sie in der Werkstatt mit, je nachdem was sie eben durchführen konnten. Uns blieb erst einmal nichts besseres übrig, als dabei zuzuschauen, gedrehte Zigaretten zu rauchen und uns von den Bulgaren beäugen zu lassen. Sicher verstanden sie nicht, warum die angeblich "reichen Deutschen" hier in dieser Kaschemme landeten. Irgendwann, es war wie ein Gefühl der Befreiung, fing der Mechaniker nun doch an, den Kupplungsdeckel meines Motorrades zu demontieren. Endlich! Was dann folgte, habe ich entweder eh nicht verstanden, oder ich weiß es nicht mehr. Uns ging natürlich der Tabak aus, weshalb ich einen der herumstehenden Bulgaren fragte, wo ich welchen kaufen könnte. Dieser hatte keine Lust zu erklären und so lud er mich in sein Auto und wir fuhren zur nächsten Tankstelle. Ist das nicht nett?
Als ich mit einer Packung Tilbury wieder zurück kam, teilte mir Chris mit, dass es inzwischen eine Probefahrt gegeben hätte, doch das Problem bestünde weiterhin. Ich machte mir langsam Sorgen, dass dieser Krattler es wohl nicht hinbekommen würde. Zwischenzeitlich waren mein Tourkollege und ich sogar noch auf Chris' Bike zu Varnas Einkaufszentrum gedüst. Ein sehr modernes, attraktives Gebäude, innen sehr sauber und arrogante bulgarische neureiche Frauen schleppten ihre Gucci- und Prada-Tüten umher. Wir fanden dort sogar einen McDonalds und da die Preise sich sowieso in einem sehr tiefen Niveau befanden, konnten wir uns ein Menü durchaus mal gönnen. Als wir vom glamorösen Teil Varnas wieder zur Hinterhofwerkstatt kamen, schüttelte unser Schrauber bedauerlich den Kopf, denn er war immer noch nicht fertig. "Somewhere problem, you know, problem!", ließ uns wissen, dass er ratlos war. Er zerlegte immer mehr vom Motor und Kupplung. Chris versicherte mir aber, dass seine Arbeitsschritte als auch -weise auf Kompetenz hinwiesen. Ich solle mir keine Sorgen um mein Bike machen. Nach weiteren langen Stunden oder vielleicht waren es auch nur lange Minuten, pfriemelte der Meister ein Lager aus dem Kupplungsbereich hervor, das offensichtlich zerschunden war. Auf die Schnelle konnte er natürlich keines nachbestellen. Und dann kam das, was ich dem Mann sehr hoch anrechne: Er nahm das Lager, sowie ein Stück Schmirgelpapier und schliff das Teil von allen Seiten ab. Nach einer halben Stunde testete er die Geläufigkeit, doch es machte immer noch kratzende Geräusche. Also weiter ging die schweißtreibende Arbeit. Mit Müh und Not, mit offensichtlich Muskelkater und nassgeschwitzer Stirn schrubbte er das Lager über das Schleifpapier, bis er - völlig erledigt - die Freigängigkeit des Teils erreicht hatte. Beim Zusammenbau aller Teile, erlaubte ich ihm, alle Neuteile, die ich aus dem Motorradzubehörladen borgte, mit einzubauen. Sicher ist sicher und preislich gesehen unter ferner liefen. Gegen halb 10 Uhr abends oder vielleicht sogar noch später, fertigte unser Held die Rechnung an, wobei die Teile vom Motorradteilehändler weitaus den größten Betrag ausmachten, für seine eigene, stundenlange, körperlich anstrengende Arbeit berechnete er aber nur ein paar Kojambel. Er sah mich mit großen Augen an und befürchtete wohl, dass ich nicht bereit sei, seine Arbeitsleistung zu bezahlen. Stattdessen knallte ich ihm einen wirklich angemessenen Betrag auf den Tisch, was er erst nicht annehmen wollte. Doch eine Widerrede duldete ich nicht, denn die geniale Idee, das kaputte Lager zu schleifen anstatt ein neues zu bestellen, war ohne Zweifel rettend für die Tour und sparte uns eine Menge Geld. Ich wage zu bezweifeln, ob ein deutscher Mechaniker uns diesen Wunsch erfüllt hätte. Es war schon dunkel, als ich endlich auf meine reparierte Maschine aufsteigen konnte. Der Mechaniker war dann sogar noch so freundlich, uns voraus zu fahren, um uns die richtige Autobahn Richtung Sozopol zu zeigen. Uns war klar, dass wir so spät keine Übernachtung finden würden, weshalb ich eher nach einem Hotel Ausschau hielt. In einem Dorf abseits der Hauptstraße, sehr nah an der Küste, befanden sich einige moderne, luxuröse Hotelanlagen. Wir klapperten die Hochhäuser ab und es war anscheinend schwieriger einen Schlafplatz zu finden, für den man bezahlen muss, als eine kostenlose Camping-Möglichkeit. Wir fanden dennoch ein Hotel, das Platz für uns hatte. Die schöne, junge Dame nahm das Geld für eine Nacht entgegen und überreichte uns den Schlüssel für unser Zimmer, wo wir sofort die verschwitzte Kleidung runterrissen. Frisch geduscht machten wir es uns auf dem Doppelbett bequem. Der Tag war, obwohl wir nicht viele Kilometer fuhren, dennoch sehr anstrengend. Den einmaligen, kompetenten und fleißigen Schrauber sind wir heute noch sehr dankbar. Hätte ich doch nur Bulgarisch sprechen können, um mich gebührend zu bedanken.
Tag 7: Endlich mal Urlaub
Ein Telefonat am Morgen mit Ayhan gab uns Hoffnung, dass unser Plan aufgehen sollte, die vorausgefahrenen BMW-Biker im Touristenstädtchen Sozopol wieder einholen zu können. In weniger als 400 Kilometer sollten wir endlich am Meer ankommen und könnten dort entspannen. Chris fand auf der Landkarte einige schöne, schmale Straßen, mit Kurven und Schlaglöchern, die uns in Atem halten sollten. In Sozopol parkten wir die Motorräder auf dem Marktplatz. Selbstverständlich brauchten wir es dort erst gar nicht zu versuchen, einen kostenlosen Schlafplatz zu finden. Die Kleinstadt war voll von Touristen und an allen Hauswänden hing die gleichlautende Reklame, dass Zimmer vermietet werden. Während wir da so standen und den Trubel auf uns einwirken ließen, wurde Chris von einem Mann angesprochen, der wohl sein Business verstand. Mit ein paar Brocken Deutsch, Englisch und allem möglichen, machte er uns verständlich, dass er günstige Zimmer zu vermieten habe, in denen wir heute Nacht unser bulgarisches Sexerlebnis haben würden. Dabei formte er mit Daumen und Zeigefinger einen Ring, steckte den Zeigefinger der anderen Hand hinein und machte dabei komische Geräusche. Der Typ war krass, der Typ war eklig. Dennoch ließen wir uns überreden, seine Pension anzusehen. Als er die Tür öffnete, kam uns wieder dieser bestimmte Geruch entgegen, der uns noch aus Bobbys Wohnung nähe Ruse bekannt war. Chlor? Asbest? Wir wissen es nicht. Die Wände waren mit großflächigen Postern zugeklebt, die nackte Frauen oder sexuelle Szenen zeigten. Und das beste an seiner Wohnung sei, man könne die getrennten Schlafzimmer absperren, damit das - Zitat: "Ficki Ficki" - ungestört vonstatten gehen könnte. Dabei formte er wieder den Ring aus Zeigefinger und Daumen und - ach, ihr wisst was ich meine. Das Wesen des Vermieters, der Zustand der Wohnung als auch der überhöhte Preis machte es uns einfach, das Angebot auszuschlagen. Stattdessen fuhren wir mit den Bikes durch die Gässchen und ich erspähte ein sogenanntes "Tourist-Office". Der Mann sprach perfekt Englisch, sein Büro war sauber und gepflegt. Allerdings war es kein echtes, unabhängiges Touristenbüro, denn er vermietete nur seine eigenen Zimmer. Ganz oben im siebten Stock nahmen wir den günstigsten Raum mit Doppelbett für 7€ pro Person und Nacht. Über Marmortreppen ging es nach oben. Dort, am Balkon stehend, begriffen wir erst unser Glück. Wir waren mit unserer Pension der höchste Punkt von Sozopol und hatten auf dem östlichen Balkon einen sehr schönen Ausblick auf das Meer, auf unserem westlichen Balkon einen guten Blick auf die Berge. Wahnsinn! Eine gepflegte Wohnung, Marmor, Stil, kein schlechter Geruch, 2 Balkone und 2 fantastische Panoramas. Für diesen Preis das eindeutig beste Angebot.
Abends trafen wir uns mit Ayhan und seinen BMW-Kumpels in einem serbischen Restaurant direkt am Strand und aßen vorzüglich. Es war schön, dass wir nun wieder vereint waren und natürlich hatten beide Gruppen sich gegenseitig viel zu erzählen. Chris wurde von einer Bulgarin vom Nachbartisch angelächelt. Wir vereinbarten, dass wir uns später mit ihr und ihren Freunden auf der Partymeile treffen würden. Doch hier muss die Geschichte mal wieder unterbrochen werden, man möchte ja nicht alles im Word Wide Web preisgeben.
Tag 9: Türkischer Regen
Während der zwei erholsamen Tage an Bulgariens Küste konnten wir viel Kraft tanken und die Energiereserven wieder aufladen. So spannend der bisherige Tourenverlauf auch war, wir fühlten dennoch wie uns zwischenzeitlich die innere Ruhe verloren ging. Da wir vorher ausgemacht hatten, wir möchten Istanbul erreichen, wollten wir dies auch schaffen. Aber lagen wir denn eigentlich noch im Zeitplan? Oder waren wir diesem voraus? Unser Gefühl von Zeit und Raum durchlebte eine Achterbahnfahrt nach so vielen Kilometern, nach so vielen Gesprächen, nach so vielen Eindrücken. Wo waren wir eigentlich gerade? Physisch gesehen, klar, in einem bulgarischen Touristenstädtchen. Mit dem Herzen vielleicht noch bei Bobby und seinem Sohn Bobby 2 und der Verstand? Der konnte wahrscheinlich die günstige Reparatur meiner Kupplung von dem sehr fleißigen Schrauber aus Varna immer noch nicht begreifen. Und dabei dürfen wir all die anderen Personen nicht vergessen, die uns auf dieser Reise ein Stück weit begleiteten oder weiter halfen. Es tat gut wieder mit Ayhan, Siggi und Michi, den BMW-Bikern unterwegs zu sein. Seitdem wir uns am zweiten Tag der Reise in Ungarn aufgrund meiner Kupplungsprobleme trennen mussten, hatten wir ständig das Gefühl, wir müssten diese wieder einholen. Nun, da wir das geschafft hatten, konnten wir entspannt und mit Hilfe der Ortskenntnis sowie Führfähigkeiten der erfahrenen Motorradfahrer gemütlich in die Türkei brechen.
Noch vor der Zollabwicklung parkte ein Bus russicher Herkunft neben uns. Aus diesem stiegen etwa 30 Jungen und Mädchen aus, im Alter von geschätzt 8 bis 12 Jahren. Die Lehrerin erkannte, dass wir aus Deutschland kommen und forderte die Schüler auf, sich nebeneinander aufzustellen. Dann zählte sie auf Russisch raz, dwa, tri und die Kindergruppe stimmte ein deutsches Lied an, was uns leider unbekannt war, aber dennoch verstanden wir den Text sehr gut. Danach kamen vereinzelt vor allem die etwas älteren Mädchen auf uns zu und starteten kurze Gespräche auf Deutsch, in denen sie sich zuerst vorstellten und dann unsere Namen fragten. Knutschte mich ein Elch, war ich im falschen Film oder stand ich unter bulgarischen Drogen, die mir jemand heimlich ins Glas mischte, als wir auf der Partymeile tanzten? Russische Schulkinder sprachen mit uns Deutsch? Wir lobten die Gruppe und warfen der Lehrerin ein respektierendes Lächeln zu. Dann waren wir aber endlich an der Reihe, unsere Dokumente dem Beamten im Zollhäuschen vorzulegen. Nun befanden wir uns auf türkischem Terrain! Uns durchströmte ein unglaubliches Glücksgefühl, denn wir wussten, dass nur ein kleiner Prozentsatz an Motorradfahrern die Türkei wirklich auf dem Zweirad erreicht. Überraschenderweise waren die Straßenverhältnisse, zumindest auf der Hauptstraße nicht so schlecht, wie ich zuvor angenommen hatte. Wir konnten Gas geben! Am späten Nachmittag fing es jeodch an zu regnen, heftiger Platzregen schüttete wie aus Eimern auf uns ein, der aufgrund der plötzlichen Menge auch nicht von dem Asphalt abfließen konnte. Wir verringerten natürlich die Geschwindigkeit sofort und legten uns nichts mehr so extrem in die Kurven. Soweit ich mich noch erinnern kann, führte die Straße zuerst in eine Rechtskurve und darauffolgend in eine linke. Als ich so gerade am Kurvenende war, verlor mein Hinterrad an Bodenhaftung und schlenderte wie ein Kuhschwanz von einer Seite zur anderen. Zur gleichen Zeit etwa, sah ich Chris vor mir, wie er verzweifelt mit der linken Hand wedelte, um mir deutlich zu machen, wie rutschig es hier sei. Doch dieses Problem begriff ich schon längst! In einem Moment dachte ich jedoch, ich hätte mein Zweirad wieder unter Kontrolle gebracht, doch einen Lidschlag später rutschte mir das Hinterrad so schnell nach rechts, so dass ich bei etwa 70 km/h auf meine linke Schulter knallte, mich mehrmals hierüber abrollte und sah das Bike noch einige hundert Meter weiter schlittern. In der Sekunde, als es auf die Straße knallte, zersplitterte mein linker Seitenkoffer in tausend Teile und ich sah meine Wäsche umherfliegen. Ende der Fahrt nahm das Motorrad im rechten, matschigen Seitengraben. Recht viel länger hat es auch nicht gedauert, bis mich starke Hände an meinem Arm packten. Chris zog mich hoch und erkundigte sich nach meinem Befinden, doch unter Schock stehend sagte ich einfach gar nichts. Wir sammelten die herumliegenden, wichtigen Teile aus dem kaputten, linken Seitenkoffer ein und stopften sie vorübergehend in eine Tasche, die ich mir umhing. Zusammen stellten wir das schwere Flaggschiff wieder auf. Mit leichtem Bedenken, zittrigen Händen, schwang ich mein Bein über die Sitzbank und versicherte meinem Kumpel, dass ich wieder fahrbereit sei. Wichtig war zuallererst der Wolke, die uns diesen enormen Platzregen bescherte, zu entkommen. Als ich dann mit gefühltem Schritttempo über die spiegelglatte Fläche fuhr, fielen mir die vielen Seifenblasen im Regenwasser auf. Ich ließ meine Beine von den Trittbrettern herunter hängen und die Schuhsohlen über die Straße schleifen. Ich kann von Glück reden, dass sich hinter mir kein Auto befand, denn dieses hätte mich wahrscheinlich überfahren. An der nächsten Tankstelle holten wir die BMW-Biker wieder ein, die eigentlich dachten, wir würden nur unsere Regenkombi überziehen und deshalb hätten sie uns aus dem Sichtfeld verloren. Doch als sie meine verkratzte linke Seite des Motorrades erspähten, stand ihnen der blanke Schock ins Gesicht geschrieben. Unsere Kleider waren mehr als nass, nein, sie trieften vor Wasser. Uns war kalt, unangenehm, die Stimmung war schlecht und ich stand bestimmt noch immer unter Schock, denn ich verspührte keinen Schmerz. Aus dieser Not heraus entschieden Chris und ich, mit den BMW-Bikern in der nächsten Stadt in ein warmes Hotel zu gehen. Mit Ayhans türkischen Sprachkenntnissen konnte er einen guten Preis aushandeln, denn bekanntlich ziehen Türken andere Türken nicht über den Tisch. Wir durften sogar unsere Motorräder in einer Art Garage abstellen, so dass diese auch wieder trocknen konnten. Nach einer heißen Dusche und nachdem wir unsere Kleidung und Schuhe mit Zeitungspapier ausstopften, gönnten wir uns ausnahmsweise ein festliches Mahl in der Innenstadt. Hey, wer überlebt schon ohne Knochenbruch einen Sturz bei 70 km/h?
Tag 10: Istanbul
Kurz vor den Toren Istanbuls wurden wir von Ayhan gebrieft, dass wir für die Überquerung der Bosporus-Brücke eigentlich bezahlten müssten. Das läuft so, dass man sich an einer Tankstelle einen Chip kauft und diesen in die Jacke steckt. Überquert man nun die Meerenge wir am Ende der Brücke durch Laserschranken erfasst, ob der Fahrer einen Chip dabei hat oder nicht. Die Empfehlung von Ayhan und anderen Türken an die Touristen war aber, sich das Geld besser zu sparen, denn es würde eh kaum einer prüfen. Wir verließen uns auf deren Aussagen und bretterten dann über die Brücke ohne jenen Chip. Am Ende dieser kamen die Lichtschranken, bei denen wir dann ohrenbetäubenden Alarm auslösten, als wir hinuduch fuhren. Mega! Mein Herz raste und es war ein tolles Gefühl, zu wissen, dass ich für diesen Lärm verantwortlich war, mich aber wahrscheinlich keiner zur Rechenschaft ziehen würde. In Istanbuls Stadtmitte ging der Verkehr sehr rege zu. Solche Mengen an Autos und vor allem an Taxen sah ich bisher nur im Fernsehen in Dokumentationen über indische Mega-Cities. Wenn ein Taxi-Fahrer auf meine Spur wechseln wollte, legte er den Blinker nach links und zog einfach rüber. Ich konnte nicht ausweichen und so fuhr ich eine Zeit lang im schmalen Freiraum zwischen zwei Autos. Keinen schien dies zu stören. Ich glaube, das war normal! Es kam auch vor, dass Autofahrer hinter uns, uns so lange mit Licht und Lichthupe belästigten, bis wir ihnen zurück winkten. Das war ihnen sehr wichtig. Wenn wir an Ampeln warteten, drehten die Türken ihre Fensterscheiben herunter und fragten, woher wir kämen. Alle klatschten, lachten und jubelten uns zu, dass wir verrückten Biker mit dem Motorrad nach Istanbul gefahren waren. Die Stadt war sehr wild, ohne Regeln. Der Straßenverkehr folgte einem anarchistischem Prinzip aber umso herzlicher wurden wir von den Istanbulern empfangen. Doch nun war es an der Zeit sich von Ayhan, Siggi und Michi endgültig zu trennen. An Istanbul selbst hatten sie kein Interesse, denn sie wollten den türkischen Osten erreichen. Ein letztes Mal bekamen wir von Ayhan Tips, wie wir uns in Istanbuld zurecht finden würden, und noch viel wichtiger, wie wir mit den Türken umgehen sollten. Wird schon schief gehen, dachte ich mir. Chris und ich fanden mit der Hilfe von Passanten eine Jugendherberge, in die wir es uns erst einmal bequem machten. Wir kamen zwar in unterschiedlichen Mehrbettzimmern unter, doch dies war für uns kein Problem. In Chris' Zimmer lernten wir einen Neuseeländer kennen der sich auf einer 6-monatigen Weltreise befand. "Ich verlor meinen Job, dann meine Frau und dann sogar noch mein Haus. Dann dachte ich mir, jetzt reicht's! Und ich begab mich auf diese Reise", teilte der quirlige junge Mann uns mit. Sofort machten wir uns startklar, um mit der Fähre auf die europäische Seite Istanbuls zu fahren. Auf dem Schiff bekamen wir - wie überall in der Türkei - einen Chai, also einen Schwarztee mit viel Zucker. Der Blick auf die Bosporus-Brücke faszinierte nicht nur uns, sondern auch die anderen Touristen und erinnerte uns an den verrückten Moment, als wir ohne Ticket das berühmte Bauwerk überquerten.
Auf der anderen Seite angekommen, schlenderten wir planlos durch das Stadtviertel Eminönü. Wir wussten ja eigentlich nicht wohin. Wir folgten der größten Menschenmenge und kamen so zu einem unterirdischen Basar, der sich unterhalb der großen Hauptstraße befand. Menschenmassen zwangen sich durch das Nadelöhr und wir hatten ein wenig Sorge um unsere Geldbörsen. Auf kleinen Höckern saßen alte Männer und verkauften allerhand Zeug, natürlich auch viel Schrott für die Touristen. Interessant fand ich aber, wie diese auch in Größen von Mülltüten ihren Tabak anboten. Wollte man welchen kaufen, griff der Verkäufer mit der vollen Hand hinein und überreichte den Batzen dem Kunden. Wir besuchten natürlich auch diese eine, tolle, große, überragende Moschee, von der ich leider den Namen vergessen habe. Chris durfte aber nicht in den Innenbereich hinein, da er eine kurze Hose trug. Ich zog auf dem Außenhof meine Schuhe aus und wusch mich hoffentlich an den richtigen Stellen, nachdem ich die Praktiken der Gläubigen intensiv studiert hatte. Dann betrat ich mit meinen Füßen den weichen Teppich der Moschee und mich durchfloss ein Gefühl der Geborgenheit und Wärme. So wurden meine Füße noch nie gestreichelt, schon lange nicht auf dieser Motorradtour. Leider musste ich auch mit ansehen, wie ein Vater mit der flachen Hand auf seinen weinenden Sohn einschlug und ihn dann, am Arm packend, hinter sich herschleifte. Außer mir interessierte sich niemand für dieses Familiendrama und so hielt ich auch besser meinen Mund. Den frühen Abend verbrachten wir auf der Terrasse einer Shisha-Bar, denn natürlich wollten wir wissen, ob in Istanbuld die Wasserpfeifen anders schmeckten, als jene in Deutschland. Ergebnis: nein, sie schmecken genauso. Für unsere Aufmerksamkeit sorgte allerdings der 14-jährige Junge, der in atemberaubender Geschwindigkeit die Pfeifen zu den Gästen brachte und sie sogar noch anrauchte! Was in Deutschland unmöglich wäre, schien hier für ganz normal. Interessantes Istanbul! Am Abend stellten wir uns auf eine der vielen Brücken und beobachteten das Lichterspektakel. Das Antlitz der Moschee entfaltete nun durch die Beleuchtung erst seine komplette Wirkung. Genauso wurden Brücken und Flussufer, so wie manche Marktplätze mit Licht überflutet. Hierfür werden anscheinend keine Energiekosten gescheut.
Mit der letzten Nachtfähre fuhren wir wieder über den Bosporus zurück auf den asiatischen Teil. Nachdem wir das Schiff verlassen hatten und die wahnsinnigen Weiten der Stadt und der Meerenge auf uns einwirkten, sprach uns ein Mann auf Türkisch an. Wir wissen bis heute nicht, was genau wir mit ihm unterhielten, denn es war ein Gespräch mit Hand und Fuß, Kopfschütteln sowie -nicken. Wir tranken mit ihm ein Bier und er erklärte uns er sei Gefängniswärter. Nicht, dass er so gut Englisch hätte sprechen können. Nein, er meinte nur "I work in Prison Break!". Schlauer Mann, der einen Filmtitel benutzte, um uns zu erklären was er arbeitet.
Tag 11: Moscheencamping
Innerhalb von 10 Tagen waren wir schon in Istanbul angekommen. Sollten wir uns nun schnurstracks auf den Heimweg machen, oder blieb Zeit, die Türkei noch besser kennen zu lernen? Kurzerhand änderten wir die Route und hatten nun die Küstenstadt Ayvalik ins Visier genommen. So könnten wir tiefer in die Türkei fahren, mehr von ihren Landsleuten und ihren Gepflogenheiten erfahren. Von Ayvalik würden wir dann eine Fähre nach Griechenland nehmen, dachten wir jedenfalls. Als wir Istanbul südöstlich verließen, änderte sich hiermit auch nun unser Gefühl für diese Tour. Wir waren schon am Ziel angekommen, der Horror war vorüber. Das eigentlich Unmenschliche, Istanbul auf dem Motorrad zu erreichen, hatten wir tatsächlich geschafft und das auch noch in einer atemberaubenden Geschwindigkeit, trotz meiner Kupplungsprobleme und des Unfalls. Von nun an konnten wir also das Motorrad fahren richtig genießen. Die morgendlichen Kilometer wurden versüßt mit einer kurzen Fährfahrt, auf der wir uns in der Sonne entspannen konnten. Einige Türken beäugten uns sehr interessiert, da wir uns mittlerweile schon wieder in einem Gebiet befanden, das sicherlich kein normaler Tourist mit Absicht erreichen möchte. Die Mitarbeiter am Checkpoint waren überaus freundlich und winkten uns an der langen Warteschlange der Autos vorbei, so konnten wir ohne Zeitverzögerung sofort übersetzen. Auf der anderen Uferseite lockte mich Chris fern ab von den langweiligen Hauptverkehrsstraßen und wir crossten über schmale Teerwege, die in den Kurven mit Dreck und Sand bedeckt waren. Hierbei drehte mein Roadcaptain unter der Fahrt das folgende Video.
Später durchfuhren wir ein kleines Dorf, das bei mir sofort den bewährten Peilsender Alarm schlugen ließ. Irgendetwas verriet mir, dass wir hier unsere Zelte aufschlagen sollten. Einer Familie, die sich vor ihrem Haus befand, zeigte ich den Zettel, der damals von dem Türken in Bulgarien auf Bobbys Terrasse geschrieben wurde. Man ließ uns etwas warten und rief einen anderen Mann herbei. Im Schritttempo fuhren wir ihm nach und er führte uns zu einer im Dorf liegenden Moschee. Sofort erlaubte er mit eindeutigen Gesten, dass wir die Motorräder in den Waschraum (für Hände und Füße) abstellen dürften. Aber war das nicht eine Art Kirchenschändung, bzw. Moscheenschändung? Immer mehr Interessierte kamen herbei und bildeten einen Halbkreis um die Tür, wodurch wir unsere Bikes zwengen mussten, um sie dort sicher zu versperren. Besonders kleine Kinder waren fasziniert und hatten keinerlei Scheu uns sehr nahe zu kommen. Wenn die Eltern es erlaubten, setzten wir die Jungs auf unsere Bikes, die dann wild am Gasgriff drehten. Wir waren also eine willkommene Abwechslung im Dorf! Der Gebetsraum der Moschee verriet uns, dass dieses Gebäude wohl nicht mehr für Gebete genutzt werden würde. Im Saal befanden sich Tische und Stühle, als auch lange Holzplatten. Es erinnerte mich mehr an einen Gemeinderaum, der vielleicht für Theateraufführungen benutzt wird. Dieser Trugschluss ließ uns am nächsten Morgen peinlich dastehen. Unter Aufsicht des Mannes mit den Schlüsseln breiteten wir uns nach Gutdünken aus und legten die Isomatten und Schlafsäcke auf die Holzplatten, damit sie auf dem staubigen Boden nicht dreckig werden.
Danach waren wir ganz alleine und konnten in Ruhe bei einer Flasche Rotwein diesen Wahnsinn genießen. War das wirklich für alle Dorfbewohner in Ordnung, dass wir in der womöglich nicht mehr als Gotteshaus benutzten Moschee nächtigen? Wir wollten unbedingt noch mehr in Kontakt treten mit den Einheimischen und folgten den lauten Stimmen zum viereckigen Dorfzentrum, das an 3 Seiten mit Kneipen eingezäunt war. Wir betraten eine und setzten uns still und heimlich in eine Ecke, um ersteinmal höflich dem Geschehen zu folgen. Sofort fiel auf, dass hier nur Männer waren und an vielen Tischen vertrieben diese ihre Zeit mit Karten spielen. Für uns Deutsche erschien es aber ungewöhnlich, dass keiner der Gäste Alkohol trank, nicht einmal ein Bier. Es dauerte nicht lange, als wir von jungen Türken angesprochen wurden. Mevlut, stellte sich einer vor, sprach wenigstens ein paar Brocken Englisch. Er bat uns, dass wir beide doch zu ihrem Tisch wechseln mögen, um an ihrer Geselligkeit teilzuhaben. Mit Hilfe von Mevlut konnten unsere neu gewonnenen Freunde alle Fragen stellen, die sie an uns hatten. Sie wussten auch schon, dass wir in der ausgedienten Moschee übernachten werden und in den Gesichtern bemerkte ich, dass offensichtlich keiner ein Problem damit hatte. Zuerst bestellten wir eine Cola, doch als wir danach ein Bier haben wollten, erhoben die Männer ihre Finger und meinten, dass es vielleicht nach 24 Uhr Bier geben werde, aber auch nur vielleicht. Von Mevlut erfuhr ich, dass er Soldat sei und wie die anderen am Tisch auch, war er schon verheiratet und hatte ein Kind. Sie wollten uns nicht glauben, dass wir diese großen familären Schritte noch nicht gegangen waren. Nach einem interessantem Abend in der Bar nahmen die Jungs den grün-weißen Fußballschal ihres Lieblingsclubs "Bursaspor" von der Wand und hängten mir diesen um, mit den Worten, dass sie ihn mir schenken möchten. Ich versuchte zu protestieren, aber die Männer waren sich einig, und banden ihn mir fest um, als Zeichen, dass ich ihn nicht ablehnen dürfe. Was für ein einzigartiges Geschenk! Und als wir unsere Getränke bezahlen wollten, nahm es der Kneipenbesitzer nicht einmal an. Mit den Worten "No, you are our friend" und einer eindeutigen Geste, schickte er uns hinaus, mit der vollen Zustimmung der Anderen. Wenn ich das einmal zusammen fassen darf: Deutsche Motorradtouristen, die kostenlos in der Moschee übernachten, erhalten den Wandschal der Bar und müssen ihre Getränke nicht einmal bezahlen! Nein, ganz ehrlich, mit so viel Gastfreundschaft hatte ich dann doch nicht gerechnet, als ich dieses Dorf als gute Übernachtungsmöglichkeit ausmachte.
Tag 12: Styling
Der Mann mit den Schlüsseln für die Moschee klopfte laut am großen Tor und öffnete dieses nach einer Höflichkeitsminute. Als er hereinkam, lächelte er uns an und sang auf Türkisch mit lauter Stimme ein Lied, um uns aufzuwecken. Wir zogen uns die verklebten Augenlider auseinander und sahen ihn, wie er mit ausgebreiteten Händen und angewinkelten Armen vor uns stand, als würde er ein Buch lesen. Die Situation noch nicht verstehend, murmelte ich leise zu Chris, er könne ruhig seinen Koran lesen, aber ich werde mich noch einmal umdrehen und die Augen schließen. Der Mann verließ die Moschee und ein wenig später wurden die Tore erneut geöffnet und uns blickten etwa 10 Kinder mit weit geöffneten Augen entgegen. Chris sprang aus seinem Schlafsack, bemerkte, dass er halbnackt vor türkischen Schulkindern stand, kroch wieder zurück und schrie: "Chiller, verdammt! Steh auf, das hier ist eine Schule! Guck mal, die haben Schulsachen dabei!". Erschreckt zog ich den Reißverschluss meines Schlafsacks auf, fühlte mich peinlich berührt und suchte nach T-Shirt und Hose, das ich mir schnell anziehen konnte. Aber wie üblich findet man in der Hektik rein gar nichts. Beschämt grinsend räumten wir unsere Sachen von deren Schulbänken, und vor allem die Weinflaschen wollten wir möglichst verdeckt aus dem Sichtfeld der Kinder schaffen. Immer mehr drängten sich ans Tor, um auch einen Blick auf die verrückten deutschen Motorradfahrer zu erhaschen. So schnell waren wir noch nie wach, so schnell hatten wir noch nie unser Zeug zusammen gepackt. Draußen sattelten wir unsere Rösser und bemerkten, dass wir immer noch das Spektakel für die Klasse waren. Obwohl der Lehrer schon längst versuchte seine Schützlinge in die Schule zu bekommen, entwischten sie ihm immer wieder, um sich um uns herum zu versammeln. Zum Abschied winkte uns die ganze Gruppe zu und wir gaben Gas weiter Richtung Ayvalik, denn von dort wollten wir ja die Fähre nach Griechenland nehmen. Hauptäschlich entschied sich mein Road Captain für kleine, kurvige aber dafür interessante Strecken. Am Wegesrand fanden wir einen Bach und konnten so der täglichen Katzenwäsche nachgehen, da an diesem Morgen nun wirklich keine Zeit hierfür war. Am Nachmittag kamen wir in ein kleines Dorf und hielten an, um uns in einem winzigen Supermarkt mit Essen einzudecken. In den Markt passten maximal 2 Kunden, dann war er schon überfüllt. Hinter der Theke stand der Verkäufer vor seinem spärlichem Warensortiment. Dennoch schön, da der Händler den Einkauf für seine Kunden zusammen stellt und dann die fertige Tüte übergibt. Chris kaufte sich eine Dose Fanta und wir entspannten unter der hitzigen Sonne. Der Besitzer des Ladens kam heraus, öffnete den außen stehenden Kühlschrank und überreichte auch mir ein Softgetränk, mit den Händen gestikulierend, wenn mein Freund etwas trinke, dürfe ich auch nicht verdursten. Als ich ihm ein paar Kojambel zustecken versuchte, hob er die Hände und wiegelte ab. Die Fanta war geschenkt! Und das nächste Glück ließ nicht lange auf sich warten: Ein junger Türke lief an unseren Bikes vorbei, doch als er unsere deutschen Kennzeichen erspähte riss er die Augen auf und murmelte respektierend etwas von "Oh, Alymanya!". Wir erzählten ihm, dass wir auf dem Weg nach Ayvalik seien woraufhin er sich an sein glatt rasiertes Gesicht und Hals fasste und den Kopf schüttelte. Er formte mit den Fingerspitzen eine Pyramide und wiederholte mehrmals das Wort "Ayvalik, Ayvalik" und signalisierte uns, dass wir in eine so noble Region der Türkei keineswegs derart unrasiert - wie wir tatsächlich waren - fahren dürften. So packte er uns am Arm und schleifte uns 20 Meter weiter zu seinem Friseursalon, woraufhin wir von ihm nach traditionell türkischem Handwerk rasiert wurden. Dazu goss er zunächst etwas Wasser in ein Schälchen, fügte Seife hinzu und schlug das Gemisch zu Schaum. Danach desinfizierte er die Klinge in heißem Wasser und setzte das scharfe Stück Metall an meinen Backen an. Ohne nachzufragen erkannte er meinen Konturenbart und und brachte diesen wieder zur Geltung. Das gleichte Spiel erneut bei Chris.
Hier waren wir auch wieder die Attraktion des Dorfes und zu uns in den Laden gesellten sich zwei Männer, sowie ein Junge. Während Chris rasiert wurde, stellte sich der jüngere Mann vor. Mit leichten Englischkenntnissen erklärte er mir, er sei Geschichtslehrer in der hiesigen Grundschule. Die Männer zündeten sich eine Zigarette an, woraufhin ich auf ein Schild an der Wand deutete, das eine durchgestrichene Zigarette zeigte. Doch sogar der Ladenbesitzer musste lachen, denn diese Regel beachte hier keiner, weder seine Kunden, noch er selbst. Nach der absolut perfekten Rasur ohne jegliche Schnittwunden versuchten wir den Service zu bezahlen, doch er kreuzte die Arme vor seiner Brust. Wir wären willkommene Gäste in seinem Laden und wir dürften nicht bezahlen. Schon wieder! Chris und ich verliebten uns mehr und mehr in diese einzigartige Gastfreundschaft. Der kleine Junge, der auch einfach nur so aus Neugierde mit im Salon saß, zeigte uns nun die Moschee. Wir zogen unsere Schuhe aus und lernten uns richtig zu waschen, bevor wir das Gotteshaus betreten durften. Beim ersten Tritt mit Strümpfen auf dem weichen Fußboden fühlte ich mich sofort an den Moscheenbesuch in Istanbul erinnert. Meine Füße und der kuschelige Bodenbelag gingen auf Schmusekurs. Gegend Abend musste ich mich wieder auf die Suche machen nach einem geeigneten Schlafplatz. Der erste Versuch war allerdings ein Reinfall, denn man bot uns an, in einem verdreckten Transport-Container zu schlafen. Das entsprach aber nicht gerade unserer Vorstellung, wie wir den Abend verbringen möchten. Weitere Kilometer später erspähte ich ein altes Ehepaar vor ihrem kleinen Häuschen im Garten. Dort zeigte ich meinen Zettel mit der Bitte um Übernachtungsmöglichkeit und die beiden gerieten sofort in Panik. Deutsche Touristen wollten bei ihnen übernachten? Das war Ehre, Glück, Überraschung aber auch Überforderung zugleich. Links des Hauses führte eine kleine Treppe auf das ebenerdige Dach des Häuschens und der Mann hob die Schultern, ob das wohl passend für uns sei. Chris strahlte mich mit leuchtenden Augen an, denn eine Nacht auf einem Dach unter freiem Himmel hatte noch keiner von uns gehabt. Wir bekamen zwar auch das Angebot im Gartenhäuschen zu schlafen, doch die Versuchung bei einem Bierchen den Sternenhimmel in der lauwarmen Nacht zu genießen, war zu groß und so richteten wir uns an dieser ungewöhnlichen Stelle ein.
Als wir mit dem Ehepärchen auf der Terrasse zu Abend aßen, telefonierte der Mann seinen ganzen Freundes- und Bekanntenkreis ab, um jedem zu erzählen, dass er Gäste aus Deutschland bei sich habe. Er war sichtlich stolz, dass wir uns für ihn und sein Häuschen entschieden hatten. Zweimal überreichte er mir auch das Telefon, denn die Person am anderen Ende der Leitung wäre angeblich der deutschen Sprache mächtig gewesen, doch für mehr als ein "Hallo", ein "Wie heißt du?" oder ein "Was guckst du?" hat es dann doch leider nicht gereicht. Wie vorher schon gewünscht, ließen wir den Abend auf dem Dach unter klarem Sternenhimmel bei ein paar Dosen des guten Efes ausklingen und wiederholten die letzten schönen Momente. Wir fragten uns auch, welches Bild denn eigentlich die Türken über die Deutschen haben, wenn wir offensichtlich überall so willkommen seien und die Menschen uns sogar auf Getränke oder eine kostenlose Rasur einluden. Würden eigentlich türkische Motorradfahrer in Deutschland die gleiche Gastfreundschaft erfahren?
Tag 13: Einladung zum Abendessen
Am Morgen nach dieser einzigartigen Nacht an exponierter Stelle erfreuten wir uns über den fantastischen Ausblick. Die Sonne schien und Chris sah seine getrocknete Wäsche an der Leine hängen, als er vom Dach herunter auf die Terrasse blickte, die von der Frau am Vorabend gewaschen wurde. Wir nahmen mit dem Ehepärchen Platz und wurden zu Frühstück und Kaffee eingeladen. Und schon wieder sollte ich mit einer mehr oder wenig gut deutsch-sprechenden Bekannten telefonieren, die mir mitteilen konnte, dass wir hier jederzeit wieder willkommen seien. Wir bedankten uns bei den beiden mit einem festen Handschlag und starteten die Maschinen. Heute Nachmittag würden wir Ayvalik erreichen und dann mit der Fähre nach Griechenland übersetzen, so der Plan. In der bekannten Touristenstadt angekommen klapperten wir ein paar Reisebüros ab, die unsere Hoffnungen auf eine Überfahrt in Luft auflösten. Zum einen waren die Preise so hoch, dass es unseren eh schon leeren Geldbeuteln schmerzte und die nächste Reise ins Land der Götter wäre erst in ein paar Tagen gewesen. Das war problematisch, denn wir verließen uns darauf und rechneten auch mit einem enormen Zeitgewinn. Wir mussten uns kurz einmal sammeln und berieten das weitere Vorgehen, um rechtzeitig daheim anzukommen. Die einzige Möglichkeit war, an diesem Tag in der Türkei noch einige Hundert Kilometer gen Norden zu schruppen, damit wir uns abends an der Grenze Griechenlands befinden würden. Ab auf die Motorräder, Gas geben war angesagt! Kurz vor den Dardanellen konnten wir uns dennoch ein kleines Päuschen erlauben und gingen im strahlend blauem Wasser an einem schönen Strand baden. Wir konnten sogar die Motorräder auf den Strand bis kurz vor das Meer fahren. Die Ecke war traumhaft schön und dennoch fanden wir kaum Touristen. Wir entdeckten also eine schöne, geheime Ecke der Westtürkei, die von bestimmt noch nicht vielen Deutschen gesehen wurde.
Als wir dort am Strand so unser Leben genossen, kam Chris auf die Idee, wir müssten auch einmal eine Nacht am Strand verbringen, da wir ja schon verrückte Übernachtungsplätze wie die Moschee und das Hausdach hatten. Wir gasten an der berühmten Stadt Canakkale vorbei und überquerten die Dardanellen erneut mit einer Fähre. Wie schon beim ersten Mal wurden wir von den Mitarbeitern am Check-Point an den wartenden Autos vorbei geschleust und durften als eine der Ersten ganz vorne auf dem kleinen Schiff die Motorräder parken. Hinter den Hügeln bemerkte ich die schon sehr schräg stehende Sonne, so dass ich mich auf die Suche nach einem Übernachtungsplatz machte, sobald wir das Festland wieder erreicht hatten. So fuhren wir in ein Dorf, das direkt am Meer lag und eventuell würden wir diese Nacht am Strand verbringen. Wir fanden auch ein gemütliches Plätzchen doch aufgrund des Mülls, der sich dort befand, schwirrten unendlich viele kleine Fliegen umher, die uns sofort belagerten, als wir von den Bikes abstiegen. Ganz so romantisch, wie wir uns das vorstellten, war es dann nun auch wieder nicht. Stattdessen suchten wir auf reguläre Art und Weise ein Stückchen Gras zum Campen im Dorf. Nachdem wir das Zelt aufgestellt hatten, wurden wir auf der Wiese von 2 jungen Motorradfahrern besucht, die zusammen auf einer alten BMW daher kamen. Wir lernten die zwei und ihre Namen kennen. Ahmet wohnt eigentlich in Büdingen und sprach perfektes Deutsch, was uns eine große Hilfe war. Er erzählte, er besuche seinen Freund Necati, der hier mit seinem Vater und Geschwistern im Landhaus den Urlaub verbringt. Necati ließ von Ahmet übersetzen, dass wir - als Motorradfahrer - bitte abends bei ihm vorbei schauen müssen, zum Abend essen und damit wir eine gute Unterhaltung haben werden. Nachdem uns Ahmet den Weg erklärte, fuhren die beiden auf der BMW davon und Chris schaute mich abermals verdutzt an. War das gerade wirklich passiert? Oder träumten wir? Wurden wir gerade von zwei wildfremden Türken zum Abendessen eingeladen? Wir sperrten noch die Motorräder ab und folgten der Wegbeschreibung zu dem schönen, aus Holz gebautem Landhaus, das wir garantiert finden würden. Die ganze Familie erwartete uns schon gespannt auf der Terrasse und aus der Küche duftete es fantastisch. Mit einem festen Handschlag und freundlichem Grinsen wurden wir von Necatis Vater empfangen und durften Platz nehmen. Sehr viele Fragen hatten sie alle an uns und Ahmet hatte Müh und Not alles zu übersetzen. Wir hatten eine riesige Freude daran, alles von unserer atemberaubenden Tour zu erzählen, was der junge Mann dann wieder seinen Bekannten erzählte. Besonders Necati und sein Vater waren auch sehr an unseren Maschinen interessiert und zeigten uns mit Stolz Bilder ihrer Zweiräder, die sie besitzen. Begeistert waren auch alle, als wir von den verrückten Taxifahrern aus Istanbul berichteten, die uns so lange anhupten bis wir zurückwinkten. Erstaunt lauschten sie, als wir von der Übernachtung in der alten Moschee erzählten, oder dass wir in der türkischen Dorfbar nicht einmal unsere Getränke bezahlen mussten und, dass ich den Wandschal des Fußballclubs Bursaspor geschenkt bekam. Sie rissen die Augen auf, als wir die Geschichte von dem Frisör auspackten, der uns kostenlos rasierte oder wir schmunzelten gemeinsam über das alte Ehepaar auf dessen Husdächchen wir nächtigten und die sich stolz brüsteten, dass ausgerechnet bei ihnen deutsche Touristen um Hilfe baten. Alle fühlten sich natürlich auch ein bisschen gebauchpinselt, dass wir nur Gutes von der Türkei zu berichten hatten. Für Chris und mich war das Schwelgen in den Erinnerungen ein willkommener Abschluss, denn am nächsten Tag müssten wir dieses fantastische Land und seine Bewohner leider verlassen. Ohne Ahmeds Hilfe hätten wir bei Weitem nicht so eine intensive Unterhaltung führen können. Die Familie fühlte sich so wohl mit uns - wie auch wir mit ihnen - , so dass wir von Necatis Vater zum Frühstück am nächsten Tag eingeladen wurden. Wow! Wir waren begeistert von so viel Gastfreundschaft! Nach einem gemütlichem Abend bei gutem Essen, Wein und Schnaps begleiteten uns die zwei jungen Männer noch zum Zelt und wünschten uns eine gute Nacht.
Tag 14: Der missbrauchte Spielplatz Nr. 2
Wie vereinbart besuchten wir erneut unsere neuen türkischen Freunde am nächsten Morgen. Der Vater zeigte uns nun bei Tageslicht den kompletten Garten und gemeinsam fütterten wir die Hühner, deren Eier wir danach zum Frühstück hatten. Außerdem wollte uns Necati unbedingt die alte BMW zeigen, mit der sie uns am Vorabend auf der Wiese besuchten.
Wir aßen zusammen mit der Familie ein Omelett aus Eiern von den eigenen Hühnern und ließen von Ahmet mehrmals übersetzen wie unendlich dankbar wir für all das hier waren; für die Begegnung, für das Essen aber vor allem für den entgegen gebrachten Respekt von zwei Nationalitäten, die sich in deutschen Großstädten so oft die Köpfe einschlagen und Vorurteile hegen. Gestärkt überquerten wir die breite Grenze nach Griechenland und erschrocken uns zunächst an den hohen Spritpreisen, die nahe der zwei Euro lagen, obwohl sich oder vielleicht auch deshalb, das Land in einer Wirtschaftskrise befand, deren Gehälter schrumpften und die Arbeitslosigkeit stieg. Zur gleichen Zeit gab es in der deutschen Politik Streitereien und Überlegungen, ob, wie und in wie weit man Griechenland unterstützen würde die Krise zu überstehen. Mir fiel ein, dass ich im Fernsehen gesehen hatte, dass griechische Demonstranten aus Wut und Frust deutsche Flaggen verbrannten und am liebsten hätte ich mein Kennzeichen demontiert. Was würden die Griechen denken, wenn deutsche Motorradfahrer vor ihrem Gartenzaun stehen und um kostenlose Campingerlaubnis baten? War das Hohn oder ein Zeichen von gegenseitiger Wertschätzung? Abends suchte ich wieder ein schönes Gärtchen, wo es uns erlaubt wurde die Zelte aufzuschlagen. Ob es nun am angespanntem griechisch-deutschem Verhältnis damals lag, wissen wir nicht, jedoch war es gar nicht so leicht auf die Grasflächen der Griechen zu kommen. Gut, dass uns ein Mann auf dem benachbartem Spielplatz nächtigen ließ und er bürgte dafür mit seiner beruflichen Stellung als Polizist. Seine Untermieterin brachte uns zu später Stunde sogar noch in der Mikrowelle aufgewärmtes Essen heraus und erzählte uns - auf Deutsch - , dass sie sieben Jahre lang ein Restaurant in Deutschland betrieb. "Ihr Deutschen wollt uns noch die Akropolis klauen!", schimpfte sie lautstark als sie die köstliche Mahlzeit über den Zaun reichte.
Tag 15: Das ist der Sheriff
Der Tag begann entspannend am griechischem Strand, der sich in direkter Nähe zu unserem Lager befand. Unter all den Touristen fielen wir nicht besonders auf, nur vielleicht unsere Motorradkleidung die neben den Handtüchern lag, verriet den anderen Badegästen, dass wir "anders" unterwegs waren. Aufgrund der extrem hohen Spritpreise versuchten wir nach der Abkühlung über die Berge wieder nach Bulgarien zu fahren, doch unsere Landkarte verriet uns nicht, dass auf halbem Wege die Straße von einem griechischen Militärstützpunkt gesperrt werden würde, Die Männer mit Schnellfeuerwaffen in Händen wiesen uns eindeutig die richtige Richtung zu - nämlich wieder zurück! Zur Freude von Chris konnten wir im Gebirge eine Schotterpiste hoch jagen und auch ich - normalerweise leidenschaftlicher Chopperfahrer - fand meinen Gefallen an durchdrehenden Reifen und dem Staub, den ich damit verursachen konnte. Oben am Berg angekommen und fernab jeglicher Zivilisation schossen wir schöne Fotos, von uns aber auch von der Landschaft.
Nach dem Genießen der Landschaft und der Ruhe nahmen wir einen anderen Pass um nach Bulgarien zu fahren und gegen abends befanden wir uns schon weit im Westen, nah an der Grenze zu Mazedonien. Vor einem Haus an einem Gartentisch sah ich einen Mann sitzen und um ihn herum einige Leute, weshalb ich mir dachte, es sei eine gute Gelegenheit um einen Schlafplatz zu suchen. Der Mann schickte eine der hübschen, jungen Frauen zu mir ans Motorrad, welcher ich unsere Bitte zuerst auf Englisch erklärte, dann aber doch lieber den Zettel übergab, der vor einigen Tagen in Bobbys Garten geschrieben wurde. Von den Anwohnern, aber ganz besonders von jenem glatzköpfigen, breiten, Angst einflößendem Mann wurden wir intensiv begutachtet. Wegen der Hitze nahmen wir erst einmal unsere Helme ab und Chris nörgelte von hinten, dass der Stier uns sicher keine Möglichkeit zum Übernachten geben würde. Später kam eine weitere junge, hübsche Bulgarin hinzu die etwas besser Englisch sprach. Sie legte ihren rechten Arm um meine Schultern und hauchte mir mit ihrem warmen Atem ein freundliches "Hello" ins Ohr, was bei mir Gänsehaut am ganzen Körper auslöste und gleichzeitig vernahm ich den Duft ihres Parfums, den sie auf ihrem Hals trug. Meine Knie zitterten und ich drohte vom Bike zu fallen, wenn Chris mich nicht mit einem Schrei zurück in die Realität geholt hätte. "Hey du Penner!", rief er "warum umarmt die dich?" Die Mädchen stellten den bulligen Typen als den ausrangierten Dorfsheriff vor, der immer noch gute Kontakte zur Polizei hatte - und das wurde betont! Ein fester Handschlag der mir fast die Knochen brach, ließ mich wissen, dass wir besser keine Faxen machen sollten, sonst würden uns die breiten Oberarme und die Bärenhände dieses Kaventsmannes in Brei zerschlagen. Dennoch bemerkte ich wachsendes Vertrauen, als wir endlich an deren Tisch gebeten wurden und mit ihnen ein Tässchen Kaffee tranken. Als wir uns dort gemeinsam kennen lernten, fuhr eine Gruppe halbstarker Jugendlicher in Muscleshirts in einem alten russischen Trabbi-Verschnitt um die Ecke. Als diese nacheinander langsam ihr Auto verließen, machte sich Nervosität unter Chris und mir breit. Rief der Sheriff vorhin mit dem Handy wirklich die Polizei für eine Ausweiskontrolle, oder waren wir diesmal in eine Falle geraten und die fünf Moskaubrüder würden uns ein paar bulgarische Kinnhaken zeigen und danach das Geld als auch die Zweiräder wegnehmen? Chris flüsterte mir zu, er habe die linke Hand schon am Pfefferspray, falls die Betonklötze auf uns los gingen. Die Situation war also wirklich ernst. Stattdessen aber reichten uns alle freundlich die Hand und erkundigten sich nach unseren Namen. Wenig später machten sie sich wieder vom Acker und Chris konnte seine Hand vom Pfefferspray lösen. Eigentlich war unsere Angst lächerlich und unbegründet, denn nachdem eine Streife unsere Ausweisdokumente kontrolliert hatte, aßen wir mit der Familie zusammen und wurden danach in unser Domizil geführt - eine eigene komplett eingerichtete Wohnung für uns ganz allein, da die Bude momentan unvermietet war. Welch ein Glück wir schon wieder hatten!
Tag 16: Elena & Simona
Der morgendliche Kaffee auf der Straße mit den Anwohnern verlief hektischer, als wir es vielleicht von gemütlichen Ländern wie Türkei oder Italien gewohnt waren. Das Frühstücksgeschirr wurde von den Leuten einfach auf dem Tisch gelassen, uns gab man freundlich die Hand zum Abschied und alle machten sich auf den Weg, entweder in die Arbeit oder in die Schule. Zwischendurch gönnten wir uns am Rande Bulgariens noch eine günstige Mahlzeit in einem Restaurant und pflegten die Motorräder, denn nach so vielen Kilometern aber auch den Regenschauern, mussten die Antriebsketten nachgestellt und eingefettet werden. Hektik hatten wir keine, denn durch die Raserei an den letzten Tagen, hatten wir locker den Zeitverlust wieder wettgemacht, den wir verloren, als wir die Fähre von Ayvalik nach Griechenland nicht nehmen konnten. Das Einfahren nach Mazedonien gefiel mir sehr gut, denn allein schon der Klang des Namens des Landes löste Sympathie bei mir aus, obwohl ich vielleicht über diesen Staat noch weniger wusste oder gehört hatte, als über Rumänien und Bulgarien.
Beim Grenzübergang trafen wir sechs junge Männer, die ohne zu zögern bereit waren, unsere Schlafplatzbitte auf Mazedonisch aufzuschreiben, doch wie uns unser Schicksal wieder verwöhnte, sollten wir den Zettel gar nicht vorzeigen müssen. Schon nach einigen Kilometern erreichten wir ein kleines Dorf mit niedlichen Häusern links und rechts von der Straße. Ich erspähte eine Oma - von welcher Chris später behauptete, er hätte gewusst, ich würde diese freundlich aussehende Dame ansprechen - am Bürgersteig und stieg vom Motorrad ab. Meinen Zettel mit der Bitte um Campingerlaubnis wollte sie erst gar nicht lesen, stattdessen nahm sie mich an der Hand, betrat mit mir einen Garten und klopfte an der Haustür. Geöffnet wurde sie von einer jungen und hübschen Frau mit nassen, braunen Haaren, die sich nur geschwind einen Bademantel umschwang, weil sie gerade aus der Dusche kam. Schon die Begrüßung, sie stellte sich als Simona vor, und die Frage, wie sie mir weiter helfen könne, verrieten mir, dass sie sehr gut Englisch sprechen konnte. Doch mir fiel beim Anblick dieser Schönheit nur die Kinnlade runter, was zur Folge hatte, dass ich auf einmal kein Englisch mehr sprach. Ich versuchte ihr zu erklären, dass wir zwei Motorradfahrer seien, die nur eine Nacht in ihrem Garten campen möchten. Gott sei dank war sie nicht nur bildhübsch, sondern auch clever und freundlich zugleich, Nach Absprache mit ihrer Mutter durften wir das Zelt im Garten aufschlagen und wie im Osten so üblich, versammelten sich am Gartenzaun etliche neugierige Nachbarn, von denen einer seine Garage für die Motorräder zur Verfügung stellte. So half man zusammen! Als wir dort die Bikes gegen Diebstahl sicherten, stellte sich eine zweite junge Dame bei uns vor. Ihr Name war Elena, die kleine Schwester von Simona. Wir seien hier bei ihrer Familie herzlich willkommen, ließ sie uns zuerst wissen. Auch von ihr waren wir sofort begeistert, denn ihre Ausstrahlung und Lebensfreude konnte sogar Licht in die dunkle Garage des Nachbarn bringen. Schon wieder wurden wir von unseren Gastgebern zum Abendessen eingeladen, obwohl wir dies doch so häufig betonen, dass das nicht nötig sei. Zu später Stunde und nachdem sich unsere Prinzessinnen mit geschickter Kleidung und Make-up noch hübscher machten, als sie eh schon waren, besuchten wir gemeinsam das Zentrum der nahe gelegenen Kleinstadt und genossen die lauwarme Nacht auf der Terrasse einer Cocktailbar.
Tag 17: Im Ferienhäuschen
Am Vorabend hatten wir mit Elena ausgemacht, dass wir am nächsten Tage mit ihr zusammen das Landhaus der Familie besuchen würden. Erneut unterhielten wir uns prächtig mit der jungen Dame und fragten, ob wir nicht noch eine weitere Nacht bei ihr im Garten schlafen dürften. Wir wollten einfach noch mehr Zeit mit ihr, ihrer Familie und deren Freunden verbringen. "Kein Problem", teilte sie uns mit, sie müsse nur ihren Eltern Bescheid geben. Danach besuchten wir Elenas Freund, Vasko, und seine Eltern. Auch dort wurden wir mit offenen Armen empfangen. Neben einer Einladung zu Kaffee und Kuchen erhielten wir eine immense Gastfreundschaft. Elena kam der Gedanke, sie könnte eine kleine Grillparty im Ferienhäuschen organisieren und ihre Freunde sowie Simona dazu einladen. Auf der Party lernten wir weitere nette Menschen aus deren Freundeskreis kennen. Nicht alle sprachen so perfekt Englisch wie die beiden Schwestern, daher mussten sie viel übersetzen. Dennoch merkte man von allen welch eine willkommene Abwechslung wir waren. Zusammen spielten wir witzige Spiele, hörten Musik und lernten einen mazedonischen Volkstanz. Umgekehrt versuchten Chris und ich möglichst viel zurück zu geben.
Tag 18: Ein armes, reiches Land
Der Abschied am nächsten Morgen fiel uns wirklich verdammt schwer! Damit wir Elena niemals vergessen würden, schenkte sie uns ein Passbild, was wir in unsere Geldbörsen stecken sollten, sowie ein rotes Tischdeckchen, auf dem mit goldener Schrift die Umrisse des Landes Mazedoniens abgebildet sind. Vielen Dank! Doch als wir uns aufmachten, zu den Motorrädern zu laufen, kamen Elenda und ihrer Oma die Tränen. Sie waren traurig, dass wir weiter fahren mussten, wollten sie doch ihre deutschen Gäste noch besser kennen lernen. Jetzt, wo wir zwei Frauen wegen uns weinen sahen, verloren auch Chris und ich etwas die Beherrschung und drückten alle noch einmal ganz fest. Wir gaben das Versprechen den Kontakt zu halten, und das tun wir heute noch.
So schwer wie heute, fiel es uns schon lange nicht mehr, die Familie zu verlassen. Dennoch musste es weiter gehen, denn schon bald sollten wir laut Zeitplan wieder daheim in Deutschland ankommen. Vor Tourbeginn hatten wir nicht damit eingerechnet, das wir andere Länder als auf der Hinfahrt durchfahren würden. Griechenland und Mazedonien konnten - da wir Glück hatten - mit Deutsch und Englisch gut überbrücken. Nun aber überquerten wir die Grenze zu Albanien. Auch auf dieses Land waren wir noch nicht einmal mit einem Duden vorbereitet, wir bereisten es spontan. Chris, mein Road Captain, musste also den Weg mit der großen Europakarte finden, die in Albanien nur eine einzige Hauptstraße anzeigte. Ob wir uns auf dieser befanden, wissen wir nicht, jedoch passten die Kurven und der Verlauf eines Flusses zu unserer Karte. Kurz nach dem Einfahren ins Land hörte der Teerbelag auf der Straße schlagartig auf und unsere Moppeds mussten mit schottriger Straße Vorlieb nehmen. Nun also rentierte es sich wirklich, dass ich mir für dieses Abenteuer extra eine Enduro angeschafft hatte.
Ich weiß nicht mehr, was genau ich in Albanien erwartet hatte, aber befanden wir uns gerade nun wirklich auf einer Hauptstraße, so wie wir annahmen? Der nächste Schock kam mit gewaltiger Kraft, als wir die erste Holzbrücke überqueren mussten. Im Laufe unserer Reise sollten noch weitere folgen, und bei manchen fehlte dann auch mal die ein oder andere Latte.
Wir verstanden recht schnell, dass Albanien nicht zu vergleichen war mit den reichen europäischen Ländern, noch war es ähnlich zu den ärmeren Staaten wie Rumänien oder Bulgarien. Europas Armenhaus ist reich an landschaftlicher Schönheit und wir bereuten die Entscheidung nicht, es spontan zu besuchen.
Als wir auf unserem schottrigen Weg kleine Dörfer durchfuhren, passierte es sehr häufig, dass Kinder die Felder hoch oder aus den Häusern rannten. Sie hörten uns schon von der Ferne kommen und warteten auf den Moment, dass zwei Motorräder ihr Dorf durchkreuzen würden. Als es dann endlich so weit war, versammelten sich Menschenmassen an den Straßenrändern und winkten uns zu. Wir waren offensichtlich nicht nur willkommen, nein wir waren sogar ein Spektakel. Eine Abwechslung vom bäuerlichen Alltag eines Selbstversorgers und seiner Familie. Solche Szenen kannte ich bisher nur aus Dokumentationen über Afrika und je länger mir dieser Gedanke im Kopf umher ging, umso mehr verglich ich dieses Land mit dem schwarzen Kontinent.
Aus irgendeinem Grund hatten wir aber Bedenken bei den Einheimischen um Schlafplatzerlaubnis zu fragen. Wieder einmal ein Vorurteil der ängstlichen Deutschen, welches sogar noch von in Deutschland lebenden Albanern untermauert wird. Nach dieser Tour kam ich in einer Bar nicht umhin, einem gebürtigem Albaner von der schönen Erfahrung in seinem Land zu erzählen. Dieser fasste sich erschrocken an die Stirn und meinte, wir hätten uns im schlimmsten Mafia-Gebiet befunden und es wäre wohl sehr gefährlich für uns gewesen, wir wären sogar verantwortungslos und blauäugig durch das Land gefahren. Genau wegen solcher Geschichten - die wir übrigens in keinster Weise bestätigen können - zögerte ich meine Aufgabe um Dorf und Dorf weiter. Wo sollten wir schlafen? Deren Häuser waren teilweise kaum größer als das Doppelte unseres Zeltes und der Garten bestand mehr aus Schotter als aus Gras. Würden wir die nächste Stadt erreichen können, um dort eine Pension zu nehmen? Die Sonne machte uns einen Strich durch diese Rechnung. Ich bemerkte wie tief sie schon stand und hielt an einem einsamen Haus in der Wildnis an. Entweder wir kommen hier unter oder wir sind der Nacht ausgeliefert, war mein Gedanke. Ich traf auf eine junge Frau, die ich sofort richtig als Tochter zuordnete. Mit keinem meiner Versuche, sie auf Englisch um Schlafplatzbitte zu fragen, konnte sie etwas anfangen, nicht einmal annähernd. Ich legte meine Hände an die Backen, drehte den Kopf um 45° nach rechts und schloss die Augen. Daraufhin nickte sie kurz und bot uns an Platz auf der Terrasse zu nehmen. Der Vater, ein dürrer schmächtiger Mann mittleren Alters mit Schnurrbart begrüßte uns bald darauf und lud uns in sein Haus, welches - im Vergleich zu den anderen - weitaus größer war und hatte von außen einen schönen Anstrich in Terracotta. Im Inneren jedoch waren Teppiche auf den blanken Estrich gelegt, Stromleitungen waren noch offen und wirkliche Lampen gab es keine, nur herunter hängende Glühbirnen. Irgendwas aber verriet mir, dass derlei Umstände hier dennoch zu einem gehobenem Luxus gehören. Zusammen mit dem Vater, einem Nachbarn und seinem 14-jährigen Sohn nahmen wir Platz im Wohnzimmer, wo wir auch später schlafen durften. Mutter und Tochter waren offensichtlich nicht erwünscht bei dieser Männerrunde, durften den Raum aber betreten, wenn der Vater in die Hände klatschte und ihren Namen rief. So wurde uns zum Beispiel das Abendessen gebracht; für jeden ein Stück Fleisch und dazu viel Beilagen an Gemüse. dem 14-jährigen Sohn konnte ich schon ein paar Informationen auf Englisch abnehmen, also tippte ich mit dem Messer auf das Fleisch und fragte ihn, welches Tier es sei. Er antwortete "Cats", woraufhin Chris sofort Messer und Gabel aus seinen Händen fallen ließ. Ich dachte mir jedoch, dass, wenn in Albanien die Einheimischen Katzen essen, dann würde ich das genauso machen. Schmeckte eigentlich hervorragend, ähnlich wie Lamm, dachte ich. Ich konnte dem kleinen Mann neben mir aber noch nicht ganz glauben. Ich wiederholte: "Cats?" und zeigte auf den Teller. Er nickte eifrig. Zu Überprüfung machte ich ein Katzengeräusch, was ihn offensichtlich zum Lachen brachte. Er übersetzte unsere Unterhaltung dem Vater sowie dem Nachbarn und auch diese konnten sich nicht mehr halten und mussten lachen. Der Mann des Hauses klatschte erneut in die Hände und rief seine Tochter herbei. Diese brachte eine Zeitschrift, in der ein Bild eines Schafes abgedruckt war. Als sie uns dieses Foto zeigte, mussten wir alle schmunzeln und Chris konnte das Fleich zu Ende essen. Welch ein herrliches Missverständnis! Das albanische Wort für Lamm war also "cats" und der Sohnemann hatte dies verwechselt. Nach der Mahlzeit klatschte der Vater mal wieder in die Hände, was ein Zeichen für die Frauen war, dne Tisch zu leeren. Gerne hätten wir auch die weiblichen Familienmitglieder mit in der Runde gehabt, doch aus irgendeinem Grund, war dies nicht angebracht und es wäre wahrscheinlich sehr unhöflich gewesen, die Frauen aufzufordern, sich zu uns zu setzen. Später, wenn wir versuchten uns an deren Denkweise anzupassen, kam uns sogar der Gedanke, dass es ein Zeichen von höchstmöglicher Gastfreundschaft gewesen sein könnte, dass die Mutter und Tochter nicht an unserer Gesellschaft teilnahmen. An Nettigkeit fehlte es den Männern nun wirklich nicht: Der Vater füllte mein Päckchen Drehtabak freiwillig und ohne Vorwarnung mit albanischem Kraut auf und freute sich, als er sah, dass mir sein Tabak schmeckte. Genauso der Sohn, der später die Satellitenschüssel verdrehte, etwas am Fernsehreceiver verstellte und wir so - man beachte! - den Sonntagstatort im deutschen Fernsehprogramm in Albanien anschauen konnten. Der kleine Mann stellte die nötigen Hebel so gekonnt, als würde er häufiger deutsches Fernsehen einschalten. Ob er auch brav die GEZ bezahlt? Bevor man uns im Wohnzimmer auf den ausklappbaren Sofas schlafen ließ, erfuhren wir vom alten Herrn, dass er einmal Polizist gewesen sei, doch die albanische Mafia schoss ihm irreparabel ins Knie. Daher die Humpelei, daher die Schmerzen. Mit dieser Information traten wir wohlbehütet den Träumen entgegen. Ja, man sollte die albanische Mafia nicht unterschätzen.
Tag 19: Die komische Routine
Die komische Routine ist ein sehr seltsames Gefühl. Es fühlt sich an, wie ein wolkengetrübter Samstagmorgen, an dem man nur wach wird, weil der Traum zu Ende gegangen ist. Wir erhielten morgens von der netten albanischen Familie eine Art dickflüssige Milch, in der fettige Klümpchen schwammen. Sie wurde warm serviert und stank schlimmer, als ein Zweitakter. Höflicherweise nippten wir an diesem Getränk, konnten es aber nicht genießen. Stattdessen signalisierten wir Eile und versuchten abermals mit Gestiken unsere Dankbarkeit zu zeigen. Kurz überlegten wir, ob wir der bitterarmen Familie Geld für ihre Gastfreundschaft bezahlen sollten. Doch was, wenn sie dies als eine Beleidigung empfinden würden? Chris und ich konnten nun wieder unter der sengenden Sonne die immer noch nicht-asphaltierte Straße erneut genießen. Chris lag offensichtlich richtig mit der Annahme, dass wir bald die nächstgrößere Stadt erreichen würden, denn die Anzahl von kleinen Dörfern, Autos und Menschen nahm zu. Wir hatten es also aus dem Gröbsten schon heraus geschafft. Sogar eine Baustelle, die die Verbreiterung des schmalen Schotterweges zum Ziel hatte, unterbrach unsere Tour für einen kleinen Moment. Wir mussten an der Ampel anhalten. Aus einem alten Mercedes vor uns stieg der Fahrer aus, reichte jedem von uns eine Zigarette und setzte sich wieder ins Auto. Ohne ein Wort zu sagen. Was war gerade schon wieder passiert? In der nächsten Stadt angekommen fuhren Chris und ich sofort die erste Tankstelle an, denn bei mir würde es bald knapp mit dem Sprit werden. Doch der Tankwart schickte uns mit einer ausholenden Gestik weiter. Auch an der nächsten war das Benzin ausgegangen. Die übernächste hatte zu und die darauffolgende bot sowieso nur Diesel an. Ich machte mir etwas Sorgen, ob wir noch eine finden würden. Die Albaner lachten uns immer nur zu und meinten, weiter vorne kommt schon noch eine Zapfsäule mit Sprit. Sie verstanden aber nicht, dass mein Motor schon längst den letzten Tropfen verbraucht haben sollte und wir uns schon wunderten, dass sie noch fährt. Zu meinem Glück konnte ich am Ortsausgang meinen Bock volltanken und der Tankwart akzeptierte sogar Euro. Ob ich mich gefragt habe, in welcher Qualität nun dieser Stoff gewesen sein soll? Ja, vielleicht habe ich mich das gefragt. Nach weiteren Hundert Kilometer kündigte ein großes, blaues Verkehrsschild an, dass wir nun auf Albaniens einziger Autobahn, finanziert durch Gelder der Europäischen Union, Richtung Montenegro düsen würden. In Montenegro entdeckten wir einen wunderschönen Strand, weshalb wir uns dort unbedingt einmal abkühlen wollten.
Am späten Abend überraschte uns Montenegro erneut mit einer atemberaubenden Landschaft, schön asphaltierten Straßen und unzähligen Unterführungen wie dieser (das Bild schoss Chris unter der Fahrt):
Unterkunft fanden wir in dieser Nacht im Garten von ein paar älteren Männern. Sie alle zusammen bauten ein Haus für einen Kumpel und nächtigten auf der Baustelle. Wir durften unser Zelt im Garten aufschlagen und genossen Wein und Tabak.
Tag 20: Bosnien und Herzegowina
Serbien machte durch ein kaputtes Grenzschild auf sich aufmerksam. Wenn die Verkehrsschilder nicht kaputt waren, dann waren sie zumindest verrostet. Aber wen kümmert's? Es fährt sowieso jeder wie er möchte. Landschaftlich gesehen bot Serbien genauso wie Montenegro schöne Panoramen. Wir befanden uns immer noch im Gebirge, hielten uns aber zumeist nördlich, denn die Heimreise trat an und wir gaben Gas um im Zeitplan zu bleiben.
Am Abend durfte ich wieder "Klingeln putzen" und war mal wieder sehr erfolgreich. Ein Bosnier sperrte uns die Türe zu einem Rohbau auf und meinte, wir könnten hier schlafen. Wir nahmen das Gebäude von innen unter die Lupe und stellten schnell fest, dass dieses Häuschen Potential hat, eine kleine schöne Villa am Hang direkt am Fluss zu werden. Auf "unserer" Terrasse genossen wir Wein und Bier und genossen die Aussicht. Zu unserer Überraschung wurden wir auf dem Balkon von 3 Grundschulkindern besucht, die alle auf Deutsch bis zehn zählen konnten und sehr stolz darauf waren. Einem Mädchen war es sogar möglich, kleine Sätze zu formulieren. Wir waren echt sehr begeistert! Zur Belohnung bekamen sie von uns etwas Brot und durften unser Wasser trinken.
Tag 21: Wir schaffen es auch in Kroatien
Während einer Tabakpause verriet mir Chris, dass ihn die Stadt Sarajevo, Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, allein vom Namen her magisch anziehen würde. "Sarajevo", ein Wort das bei richtiger Betonung nach Dreck, Verbrechen und Armut klang, könnte auch eine Westernstadt in den Amerikanischen Staaten sein, wo sich gesetzlose Mafiabosse und korrupte Sheriffs die Klinke in die Hand geben. Wir besuchten also die Innenstadt, tranken eine Cola und wurden sofort von armen Kindern angebettelt. Vielleicht auch mein Fehler, ich spendete ein paar Kojambel, aber dann kamen noch mehr. Wie aus einem Bienennest flüchteten wir vom Marktplatz und reisten weiter gen Norden.
Als wir nachmittags eine Pause einlegten, drohten wir aufgrund der sehr starken Sonne an diesem Tag unter der Kleidung zu zerfließen. Wir begossen uns mit unseren Wasserflaschen, doch da diese schon den ganzen Tag wieder hinten auf unseren Moppeds aufgeschnallt waren, lag die gefühlte Temperatur des Wassers bei locker über 30 Grad. Es kam auch schon vor, dass die durchsichtigen Flaschen wie eine Lupe das Sonnenlicht so stark konzentrierten, so dass ich abends an meinen Gepäckrollen sogar kleine Brandlöcher wie von einer Zigarette fand.
Abends befanden wir uns unglücklicherweise in Kroatiens Urlaubsgebiet. Das heißt, dass jedes deutsche Kennzeichen, "Bargeld" für die dortigen Anwohner bedeutet. Ungewöhnlich häufig wollte man uns nicht kostenlos im Garten campen lassen. Ganz im Gegenteil: Für eine Übernachtung in ihrer Garage forderte eine alte Dame 20€ pro Nacht und pro Nase. Was könnten wir tun? Wir fuhren ein paar Campingplätze an, die noch freie Stellen zur Verfügung hatten, aber Kroatien ist so sehr steinig, so dass keiner der Zeltplätze für Camping brauchbar gewesen wäre. Aus Not fuhren wir etwas raus aus dem Touristenzentrum und fanden nettere Leute oben am Berg. Ein Motorradfahrer grinste mich schon so interessiert aus seiner Garage heraus an, so dass auch ich ihm meinen Zettel mit der Bitte zeigte. Er überlegte kurz, fragte seine Freundin und begleitete uns dann zu einer Ferienwohnung. "Normalerweise vermiete ich diese hier, aber für euch - für euch Biker - überlasse ich sie umsonst". Welch ein Glück! Ja! Nach langem Suchen hatten wir es wieder einmal geschafft, und das direkt an Kroatiens heiß begehrter Küste. Uns wurden später von dem jungen Pärchen sogar noch Kartoffeln aus Eigenanbau vorbei gebracht, woraus wir uns Chips in der voll ausgestatteten Küche rösteten.
Tag 22: Slowenien
Nur noch ein paar Kilometer durch Kroatien und dann würden wir Slowenien erreichen. Doch wer erst in Slowenien ist, hat es nicht mehr weit nach Hause. Bestimmt waren wir an diesem Tag nicht sonderlich gut gelaunt, denn das Ende dieser Tour rückte spürbar näher. Je nördlicher wir durch Kroatien fuhren, desto schöner wurden die Straßen, die spontanen Begegnungen nahmen ab und wir zählten unendlich viele deutsche Kennzeichen. Für ein Fotoshooting an den Plitvicver Seen sollte aber dennoch genügend Gemütlichkeit vorhanden sein:
Wir überquerten im Norden Kraotiens die Grenze zu Slowenien und es entstand bei uns der subjektive Eindruck, dass dieses Land das wahrscheinlich reichste unter den ex-jugoslawischen Staaten sein könnte. Gut geteerte Straßen, große moderne Einkaufshäuser, "deutsch" aussehende Häuser und Vorgärten. Und das auch in den ländlichen Gebieten, die vielleicht nicht so stark vom Tourismus profitieren. Unser Zelt durften wir im Garten einer Familie aufschlagen. Es war leicht deren Erlaubnis zu erhalten, andererseits hatten sie auch kein Interesse daran, mit uns in Kontakt zu treten. Ganz anders, die weibliche Dorfjugend. Zwei Mädchen liefen ungewöhnlich häufig an unserem Zelt vorbei, bis wir sie mit einem Wink zu uns einluden. Mit etwas Englisch und Fotos auf Chris' Kamera konnten wir mit den beiden eine kleine Unterhaltung führen. Wir empfanden es als sehr nett, dass sie uns Gesellschaft leisteten.
Tag 23: Die letzte Übernachtung
Ein bedeckter Himmel, leicht windig und ein paar Regentropfen passten perfekt zu unserer Stimmung. Heute Nacht würden wir das letzte Mal auf unserer Tour schlafen. Ein bedrückendes Gefühl überkam uns und so versuchten wir die letzten ausländischen Kilometer einigermaßen zu genießen. Um die Zahl der durchquerten Länder zu maximieren, durchquerten wir spontan einen kleinen Zipfel Italiens, der zwischen Slowenien und Österreich liegt.
Danach jedoch, sollte unser bisheriges Glück in Unglück umschlagen: Beim Überfahren eines Passes in Österreich wurde es plötzlich sehr kalt. Am Scheitelpunkt des Berges wurde die Fahrt durch leichten Schneeregen vermasselt. Die Knie fingen an zu zittern und so zogen wir abermals unsere Regenkleidung über, um wenigstens einen kleinen Teil unserer Körperwärme zu erhalten. Trotz beschlagsfreiem Visier, bildete sich eine dicke Nebelschicht auf der Innenseite meines Fensters. Unsere Stimmung sank auf den absoluten Nullpunkt, genauso wie die Temperaturen. Wir malten uns keine großartigen Chancen aus, kostenlos in Österreich übernachten zu können, also suchten wir im Tal auf der anderen Seite des kalten Passes nach einer günstigen Unterkunft. Doch günstig, war hier nichts.
Tag 24: Die Heimkehr
Am letzten Tag unserer bewegenden Tour wurden wir wieder mit Sonnenstrahlen belohnt, doch konnten wir die letzten Kilometer in Österreich und Deutschland genießen? Es war wohl eher so, dass wir an all die netten Menschen dachten, die uns auf dieser Tour durch Wegbeschreibungen weiter halfen, die uns einen Schlafplatz anboten und eventuell sogar Spaß an unserer Geselligkeit hatten. Ein letztes Foto möge unsere Dankbarkeit zeigen: Zwei strahlende, gelassene Biker, die von sich behaupten können, dass sie in den letzten drei Wochen über 7.000 Kilometern mit ihren Bikes zurück legten. Zwei Biker die von unendlich viel Gastfreundschaft berichten können. Von armen Familien, die so reich waren an Herzlichkeit. Von Missverständnissen in Albanien und von skurrilen Übernachtungsplätzen in einer ausrangierten Moschee sowie auf einem Hausdach. Ewig ins unser Herz schlossen wir den begabten bulgarischen Schrauber, die mazedonischen Schwestern, mit denen wir einen unserer Höhepunkte dieser Motorradtour erleben durften, als auch Ahmet, Necati und seine Familie, die abermals zeigten, dass Grenzen zwischen zwei Nationalitäten nur politische Grenzen sind, keinesfalls zwischenmenschliche. Wenn wir eines auf dieser Tour gelernt haben, dann wohl: Höre nicht auf Vorurteile über Osteuropäer, baue Vertrauen auf, wenn jemand dir vertraut und verpasse keine Gelegenheit, mit Einheimischen in Kontakt zu treten. Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Türkei, Griechenland, erneut Bulgarien, Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien, Bosnien & Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Italien und erneut Österreich waren die Länder, die wir durchfuhren und uns das größte Abenteuer unseres Lebens schenkten. Ein riesengroßes Dankeschön reicht nicht aus, doch mit der Annahme, dass dieser Bericht als auch die Bilder, der Welt zeigen sollen, wie schön sie ist, beende ich diesen Tourbericht mit einer Träne in den Augen.