Es war ein verregneter Sommertag irgendwo in der Nähe von München im Jahre 2008. Dort traf ich die drei anderen Verrückten, die dieses Projekt mitorganisierten. Ich schnallte meine drei Gepäckrollen, welche nicht einmal genügend Klamotten beinhalteten, geschweige denn irgendetwas zu essen oder zu trinken, auf meinen Gepäckträger und auf die hintere Sitzbank und bestieg meine 800ccm-Maschine. Das Drücken des Elektrostarters und der gleichzeitige Zug am Gasgriff ließen mich wissen, dass das der schnellste Sommer meines Lebens wird. Die Reifen durchdrehend auf dem Schotter fuhren wir vier zusammen nach Italien, ohne Essen und Trinken. Ich erinnere mich, es war ein sehr seltsames Gefühl an diesem Regentag aufzustehen und noch nicht zu wissen, wo im warmen Italien wir übernachten werden. Schlagen wir unsere Zelte in der Wildnis auf? Oder neben der Autobahn? Können wir die Landsleute fragen, ob wir im Garten übernachten dürfen? Kann einer italienisch?
Faszinierend, wir waren kaum in Österreich und unser Tourbeginn wurde mit kuschlig warmen Sonnenstrahlen belohnt. Kennt ihr den alten Brennerpass über die Alpen? Berg rauf, Berg runter, Kurve links, Kurve rechts. Das ist ein wahrer Traum für einen Motorradfahrer sich immer wieder abwechselnd in die Kurven wirklich rein zu legen, der Gleichgewichtssinn klinkt sich irgendwann aus und darauf folgt die Trance. Vor jeder Kurve fragte ich mich ob diese Kurve mit noch einmal mehr Geschwindigkeit als die vorige zu nehmen ist. Irgendwann gefielen mir das Geräusch und die Funken, wenn die Fußrasten auf dem Asphalt schliffen - Hauptsache noch ein Stück mehr Kurvenlage!
Part 2: Die ersten 300 italienischen Kilometer und der missbrauchte Spielplatz
Dass es in Italien schlechtere
Straßenverhältnisse geben soll, als in Deutschland, war uns schon vorher bewusst,
doch dass sich genau hinter der österreichischen Grenze das größte Schlagloch
befindet, das wir je auf einer asphaltierten Straße gesehen haben, damit haben
wir nicht gerechnet. Gut, dass man als echter Biker dies als Gelegenheit sieht,
seinen Kumpels zu zeigen wie reaktionsfreudig man ausweichen kann. Genauso
neugierig beobachteten wir den 25 km/h – Roller – Fahrer, der sein lahmes
Zweirad an Lenkern, Seitenteilen und Heck mit Campingsachen belud, ganz zu
schweigen welch riesigen Rucksack er selbst noch am Rücken trug. Ja das ist
Italien. Wir liebten es ab dem ersten Moment. Je weiter südlich wir fuhren,
desto heißer wurde es unter unserer warmen Motorradkluft und wir vergaßen
schnell das kaltnasse Deutschland, wo wir uns noch am Morgen befanden. Auf
welchen Straßen wir uns begeben werden, wie schnell man sie befahren darf, wie
breit sie sind, ob es gebirgig wird, konnten wir vor Monaten bei der
Tourplanung auf der Karte nicht vorhersagen, deswegen fanden wir es auch extrem
spannend, als wir realisierten, dass uns unser blind gewählter Weg wohl wieder
ins kurvige Gebirge führen wird. Zwei Gänge runter und ich hatte das Gefühl als
wollte mein Motorrad nichts anderes, als dieses italienische Gebirge zu erklimmen.
Für die beiden 125er Chopper der beiden anderen war es jedoch eine Qual die
steile Straße zu bewältigen, weswegen wir uns etwa auf halber Höhe für eine
kleine Pause auf einem Platon mit fantastischer Aussicht entschieden.
Jedoch war wirklich nicht viel Zeit
zu verlieren, denn die Frage wo wir heute Nacht schlafen können, hing über
allem. Also ging es im Affentempo das Gebirge auf der anderen Seite wieder
runter und unser Checkpoint Trento war bald erreicht. So wie wir es uns
allerdings vorstellten, wir könnten die Bevölkerung um Campingerlaubnis im
Garten bitten, war nicht so einfach. Die Menschen in Italien leben in ihren Dörfern
viel zerstreuter und wir sahen nur sehr selten Menschen. Außerdem wusste ich
immer noch nicht, wie ich den Landsleuten unser Anliegen verständlich machen
sollte. Also zögerte ich meine Aufgabe um Ortschaft und Ortschaft weiter.
Mittlerweile schon lange am Zielpunkt Trento vorbei und auch schon wieder im
halben Gebirge fand ich ein sympathisches Grundstück und ich gab das Zeichen
zum Anhalten. Wir stellten unsre heißen Öfen auf den Seitenständer und stiegen
ab. Ich zückte meinen Italienischduden und schlug das Wort „Zelt“ nach – „la
tenda“. Gemeinsam marschierten wir zur Haustüre, die leider nicht sofort
geöffnet wurde. Nach geduldigem Warten öffnete uns eine kleine pummelige Frau
die Türe und begrüßte uns freundlich. Wir sagten „buon giorno“ und legten die
Hände an die Backen um „Schlafen“ zu signalisieren um danach „in la tenda“ zu
sagen. Nach mehrmaligen Versuchen verstand sie uns und rief mit italienischem
Temperament ihren sehr schmächtigen Mann. Dieser lud uns in seinen winzigen,
weißen Fiat 500 und fuhr uns etwa einen Kilometer weiter zu einem
deutschsprechenden Bekannten. Wir erklärten diesem unsere Bitte, und dieser
übersetzte es unserem netten Helfer. Sofort sprang er in sein Auto zurück und
er chauffierte uns zum Ortschef – natürlich nicht angeschnallt. Diesen trafen
wir dort leider nicht an, woraufhin wir mit unserem flippigen Italiener wieder
zu seinem Haus fuhren. Es fielen wilde Gespräche zwischen dem Mann und seiner
Frau, doch zum Schluss nahm es ein gutes Ende. Die nette Frau telefonierte mit
dem Bürgermeister der Gemeinde, der es uns erlaubte auf dem nahegelegenen
Spielplatz mit Bank und Tisch zu campen. Völlig übermüdet und erschöpft von dem
heißen und langen Tag schlugen wir sofort die Zelte auf und machten es uns auf
der Bank mit einer bei der Frau gekauften Flasche Wein gemütlich. Mit zwei
Gaskochern bereiteten wir uns Spaghetti Bolognese zu. Danach folgte noch eine
kurze Routenbesprechung für den morgigen Tag und schließlich gingen wir
schlafen. Werden die folgenden Versuche einen Schlafplatz zu finden immer so
leicht sein?
Part 3: Italienischer Wein, komm schenk‘ mir ein…
So schnell die Nacht auch war, so erschöpft wir aus unseren Zelten krochen. Es gab keinen Ausweg. Die nächsten 300km in Italien standen uns bevor. Also bauten wir schnell die Zelte ab, packten unsere Sachen in die Gepäckrollen und schnallten sie auf unsere Maschinen. Spontan entschieden wir uns noch einen kleinen Umweg ins tiefere Gebirge zu nehmen, um eben noch mehr tolle Kurven zu erleben. Nach nicht einmal 15 Minuten Fahrt über sehr enge und holprige Straßen, entdeckten wir einen kleinen Bach. Wir hielten an um uns dort notdürftig frisch zu machen und um uns die Haare zu waschen. Unter Jungs reicht das. Wie immer wollten wir schnellstmöglich weiter, denn wenn wir noch ein bisschen im bald erreichten Gardasee baden wollten, war Tempo angesagt.
Nach einer Weile über langgezogene und langweilige Hauptverkehrsstraßen, kamen wir in die Nähe des schon von der Ferne leuchteten Gardasees. Bis man jedoch eine Stelle erreicht um ans Ufer zu kommen, fährt man etliche Kilometer entlang des Sees durch viele Tunnel und über viele Baustellen mit Ampeln. Etwa zur Mittagszeit brannte uns die Sonne unsere Köpfe unter den Helmen weg und jeder Tunnel war eine willkommene Abkühlung. Wenn wir nicht gewusst hätten, dass wir gleich baden gehen, hätten wir wahrscheinlich nicht durchgehalten. Bevor wir jedoch ans Ufer gingen, besuchten wir einen Supermarkt und plünderten ihn um sein billigstes Toastbrot und um seine Wurst, das wir dann gemeinsam gechillt am tollen „Lago di Garda“ aßen. Danach gab es für uns noch die ersehnte Abkühlung im strahlend blauem Wasser. Doch einen Biker zieht es auf sein Bike. Wir fuhren dann also ab Mittag etwa bis abends um 18 Uhr durch und wir kamen zu unserer Freude wieder ins Gebirge. Unachtsam legte Tobi in einer Kurve eine Vollbremsung hin, stieg hektisch von seinem Bike ab, fiel dabei fast 50m in die Tiefe und fing das Brüllen an, während er seine Lederhose mitten auf der Straße auszog. Wir hörten ihn nur schreien "Biene - Stich - Biene - Aua!!". Weil wir gerade eh schon standen machten wir eine kleine Pause und ließen Tobi sich von seinem Bienenstich zwischen den Beinen erholen. Wie das Mistvieh da hineinkam, wissen wir bis heute nicht.
Später gelangten wir schon deutlich in den Westen Italiens – Industrieviertel! Schäbige Häuser, arme Leute, einmal noch schlechtere Straßen und Staub ließen die Erinnerung an das Touristengebiet vom Mittag verblassen. Natürlich war es nun wieder an der Zeit mich auf meine spezielle Aufgabe vorzubereiten: Übernachtungsplatz suchen. Als ich ein freundliches Grundstück mit einem einigermaßen netten Häuschen entdeckte, gab ich das Zeichen zum Anhalten. Wir stiegen von unseren heißen Öfen und marschierten zum Tor, wo wir klingelten. Vorsichtig schritt eine Frau mitte 40 auf uns zu. Ich fragte „Do you speak English or German?“. Die Frau guckte, als würden wir ihr ein obszönes Angebot machen und sie antwortete „No, no … filio!“. Daraufhin schritt sie gelangweilt ins Haus zurück und es dauerte 5 Minuten bis ihr schlacksiger Sohn herauskam: Zerzauste Haare, Boxershort und ein zu großes, schief hängendes Muscleshirt. Er sagte in einer Stimmlage, so schwul wie ihr euch vorstellen könnt: „Hi“. Wir sagten unseren Spruch auf und er antwortete noch schwuler: „Ohhh noooo. There is no possibility to sleep here. I am soooo sorry for you!“ Enttäuscht zogen wir ab und ich fuhr widerwillen der Anderen zu einem heruntergekommenen Häuschen 100m weiter. Ans Geländer trat ein kleiner temperamentvoller Mann. Er verstand das Italienischenglisch, das wir ihm entgegebrachten und er winkte uns nach Rücksprache mit seiner Familie hektisch hinters Haus. Dort eröffnete sich uns die gesamte Größe seines wunderbaren Gartens. Ein gesonderter Abstellplatz für die Motorräder zeigte er uns zuerst. Danach folgten wir ihm in sein riesiges Weinrebenfeld. In einem Gang zwischen den Stöcken durften wir unsere 2 Zelte aufschlagen und ein Trinkwasseranschluss im Garten war inklusive. Gesagt getan waren die Motorräder gegen Diebstahl geschützt und unsere Übernachtung vorbereitet. Zu unserer vollsten Überraschung kam die Mutter der jungen Familie am Abend mit einer riesengroßen Schüssel voll Spaghetti Bolognese und – man beachte – einer Flasche Weißwein aus ihrem eigenen Anbau! Ich lüge nicht, wenn ich sage, etwas Besseres habe ich noch nie genossen. Nachdem wir satt waren brachten wir das Geschirr zu der Familie auf die Terrasse und der nette Mann versuchte uns zu erklären, dass das alte Ehepaar auf der Bank ihre Großeltern seien und dass sie am nächsten Tag für unser Frühstück sorgen würden, da er und seine Frau in der Arbeit sein werden. Irgendwie war uns an diesem Abend klar, dass dieser Platz hier wohl den größten Luxus bietet, den wir bei den einheimischen Italienern haben werden.
Part 4: Ein Bett im Kornfeld?
Wie uns versprochen war, wurden wir am nächsten Morgen von den freundlichen Großeltern zum Frühstück eingeladen. Es gab Kaffe und Kuchen, sowie eine nette Unterhaltung mit dem Ehepaar per Hand und Fuß. Mein Eindruck war, dass die beiden sehr erleichert waren, dass wir in der Nacht keinen Lärm veranstaltet haben und somit auch die Kinder ruhig schlafen konnten. Thomas‘ Motorradkette war ziemlich locker, also spannte sie Chris ein bisschen nach, während ich in meiner morgendlichen Routine meine Rollen aufschnallte. Irgendeine Art Routine lag heute in der Luft und so sollte der restliche Tag auch verlaufen. Als würden wir die Strecke jeden Tag fahren, fanden wir sehr leicht den Weg zum Meer und erfrischten uns dort. Danach hatten wir das Glück, dass wir über sehr lange Zeit immer sehr nah an am Meer auf einer schön geteerten Straße cruisen konnten. Die Aussicht war herrlich. Obwohl wir zu viert Italien erkundeten, fühlten wir uns doch wie Außenseiter. Nicht wegen des deutschen Kennzeichens, sondern wegen den vielen Motorrollern. Ich würde sagen das Verhältnis Biker zu Rollerfahrer ist eins zu 20.
Gegen Abend jedoch kamen wir wieder in des Biker’s liebstes Terrain: Gebirge. Wir legten uns natürlich rein in die Kurven bis die Fußrasten schliffen und scheuten keine Gefahr. Des Gefühl war atemberaubend. Endlich erreichten wir ein kleines Städtchen und besorgten uns in einem kleinen Supermarkt ein paar Packungen Fischstäbchen. Das war gut so, denn unsere nächsten Gasteltern versorgten uns nicht freiwillig. Ab auf’s Motorrad und schnell raus aus der Stadt. Wieder im tiefen Land und noch ein paar Höhenmeter weiter packte mich mein bewährtes Gefühl. Ich trat in die Eisen und steuerte einen Schotterweg, hoch zu einem niedlichen Haus, hinauf. Anscheinend unterhielt ich mich zuerst mit dem nicht entscheidungsberechtigten Hausmädchen, da sie regelmäßig die Achseln zuckte, bis die Hausdame sich erkundigte, was wir wollen. Sie zeigte mit dem Finger auf das plattgetretene Feld und verschwand wieder. Nachdem wir unser Schlaflager aufgebaut hatten, brateten wir die Fischstäbchen in den Gaskochern bei einem herrlichen Sonnenuntergang. Wir konnten die rotbrennende Sonne lange beobachten weil wir sehr weit oben waren und weder Bäume noch Wolken das traumhafte Portait störten. Irgendwann später begrüßte uns der Hausherr: „Hallo Kerle. Ich haben in Deutschland auch gearbeitet. Mein Deutsch nicht mehr so gut jetzt. Vorsicht mit Feuer auf Boden … ok?“.
We ride to live, we live to ride.
Part 5: Bäuerliche Verhältnisse
Am nächsten Morgen weckte uns diese unerträgliche Hitze. Sie brannte ungehindert auf die Zelte und heizte sie damit kräftig ein. Nach ersten Aufräumarbeiten und Müllsammlungen liefen wir zum Haus hoch um uns zu bedanken und zu verabschieden. Doch die netten Frauen baten uns erst einmal herein und wir wurden an einen wundervoll gedeckten Frühstückstisch mit Ciabattobrot und Kuchen geführt. Einen Augenblick später kam ein älterer Mann herein. Er war ein Freund der Familie und konnte sehr gut Deutsch sprechen. Er fragte uns, was wir in Italien machen und übersetzte es unseren Gastgebern. Er teilte uns auch mit, dass letztes Jahr auch vier junge Biker das Feld zum Schlafen nutzten und die Familie anfangs dachten, wir wären jene Kerle vom letzten Jahr. Zum Abschied schrieb uns der freundliche Mann einen Zettel auf Italienisch, auf dem unser Anliegen, kostenlos im Garten campen zu können, genau beschrieben wurde. Diesen sollten wir in Zukunft einfach nur noch vorzeigen. Als wir wieder bei den Motorrädern unten waren, bemerkte Chris, dass sein Hinterrad die Luft verloren hatte. Sofort alarmierten wir den deutschsprechenden Italiener, er möchte uns doch bitte helfen. Zuerst fuhren wir 200m weiter zu einer kleinen Scheune mit einer Pressluftmaschine. Der Reifen war zwar nun wieder vollgepumpt, jedoch verlor er dennoch leicht an Luft. Also eilten wir in die nächste Kleinstadt, denn dort sollte eine Werkstatt für Motorradreparaturen sein. Gott sei Dank bewahrheitete sich diese Information und Chris bekam einen neuen italienischen Crossreifen und einen Schlauch eingesetzt. Danach konnten wir ungestört nach Lust und Laune in den Tag hineinfahren. Unser Ziel war nun, kurz vor der Hauptstadt Rom die Westküste zu verlassen und kerzengerade nach „rechts“ (landkartentechnisch gesehen) Richtung Osten ins mittlere Gebirge zu fahren. Und so sollte es auch sein. Tief in den Wäldern und Bergen fuhren wir an einem freundlich aussehenden Bauernhof vorbei. Wir hielten an und ich fragte ihn erst einmal auf Englisch, ob wir auf dem Feld übernachten dürften. Er antwortete in sehr klarem und verständlichem Englisch, dass es in Ordnung sei, wir aber keinen Müll hinterlassen sollen. So bequem wie das Feld von weitem aussah, war es aber nicht. Der Boden hatte teilweise metertiefe Risse, in die mein Fuß gepasst hätte und aus den Öffnungen sprangen tausende Grashüpfer. Es galt strengstens, die Zelte geschlossen zu halten. Nachdem wir die Behausungen aufgeschlagen und uns satt gegessen hatten, hörten wir Musik, Stimmen und Leute, die lachten, und das nicht weit von uns entfernt. Natürlich wollten wir wissen, was genau da los war. Zu unserer Überraschung stellten wir fest, dass genau in diesem Dorf eine Kirchweih stattfand. Musik, Menschen, Schießbuden sowie echter italienischer Wein rundeten den Abend perfekt ab.
Part 6: Deutsche Mädchen
Am nächsten Morgen setzten wir uns kurz zusammen.
Tobi erinnerte uns, dass ihn sein Onkel versprochen hatte, dass wir, wenn wir
in der Nähe seines Landhauses wären, auch für eine Nacht bei ihm bleiben dürften.
Natürlich freuten wir uns auf Unterhaltungen mit Deutschen und träumten schon
von einer Dusche. Mit Tempo ging es nun das Gebirge wieder hinunter und so
hatte nicht nur ich mit meiner großen Maschine Spaß, sondern auch die kleinen
125er-Maschinen. Gegen mittags, während uns die Mittagssonne das Leben schwer machte,
erreichten wir die Stadt Ancona, die in der Nähe des Landhauses ist. Wir machten eine
Rast und baten Tobi seinen Onkel anzurufen. Er antwortete jedoch, er habe keine
Nummer von seinem Onkel, und Geld auf dem Handy hätte er auch nicht. Und so folgte ein Streit zwischen den Münchnern, weil Tobias
sich nicht vor der Tour um die Organisation kümmerte. Um die Sache zu beschleunigen, telefonierte ich mit Franzi (die Tochter des Onkels) und wir vereinbarten einen Treffpunkt in Ancona auf einem McDonalds-Parkplatz. Wir
hielten kurz Abstand von Tobi, damit sich alle beruhigen konnten. Plötzlich
hörten wir, wie er seine Maschine startete und in einem Affentempo abhaute.
Natürlich dachten wir zuerst, er wüsste wo es langgeht und er fahre zum
vereinbarten Treffpunkt. Also machten auch wir uns auf den Weg zum McDonalds,
Tobi holten wir jedoch nicht mehr ein. Auf dem Parkplatz angekommen, erwarteten
uns ein nettes Ehepaar, also Tobis Onkel und Tante und zwei arrogante Mädchen,
die uns anfangs nicht wirklich anschauen trauten oder wollten. Ich erinnere mich, dass ich
außer ein „Hallo“ mit den Mädels keinen weiteren Kontakt hatte. Tobi war leider nicht zu
dem Treffpunkt gefahren, woher hätte er ihn auch wissen sollen, er hatte ja mit
niemandem mehr geredet. Sein Onkel machte sich sehr große Sorgen. Nachdem wir
uns mit Burgern gestärkt hatten, sollten wir der Familie im Auto
hinterherfahren. Die letzten 100m zum Landhaus waren ein Schotterweg und dies
erweckte keine guten Gefühle in mir, denn 250kg mit Straßenreifen, lassen sich
im Schotter nicht besonders gut fahren. Zusätzlich darf man nur die
Hinterradbremse betätigen. Und dann ging alles ganz schnell. Der Schotterweg
verlief einen kurzen Hügel hinunter und dachte nicht daran, zu warten
bis der Hügel frei war. Chris stürzte mit seiner Cross bei waghalsigen
Sprungversuchen im Gras, die Familie im Auto hielt natürlich an und hinter denen stoppte Tom – mein Ausrollweg war also versperrt! Ich drückte zuerst die
Hinterbremse, der Hinterreifen blockierte aber völlig, doch trotzdem rutschte ich
unaufhaltsam auf Toms Moped. Aus Reflex zog ich natürlich an der Vorderbremse
und der Vorderreifen blockierte auch sofort. Die Folge war ich flog nach rechts
um und knallte auf den Schotterweg. Ein Kieselstein hinterließ eine fette Beule im Tank. Ärgerlich, aber
nicht so schlimm wie ein Auffahrunfall.
Im Landhaus angekommen duschten wir erst einmal nacheinander. Tobis Onkel schmiss den Grill an aber von den Mädels bekamen wir aber immer noch keine
Beachtung. Beim Essen erzählten wir von dem Urlaub und dem Streit mit Tobi und
nur ganz langsam gewannen wir das Vertrauen der zwei deutschen Mädchen. Nach
dem Essen waren die Zicken in ihren Zimmern um sich umzuziehen. In einer
ruhigen Minute setzte sich die Mutter zu uns an den Tisch und teilte uns mit:
„Ich habe mich grad mit den zwei Schnepfen unterhalten. Ihr habt bei denen einen
wirklich positiven Eindruck hinterlassen. Sie würden sich sehr wünschen, wenn
ihr nicht nur eine Nacht, sondern gleich zwei hier bleiben würdet. Von uns aus
geht das auch in Ordnung.“ Dieses Gespräch beeindruckte mich sehr.
Am Abend schnappte ich mir das Telefon und flackte mich in die Hängematte um
mit der Flatrateleitung nach Deutschland zu meiner damaligen Freundin zu telefonieren.
Es dauerte nicht lange und es gesellten sich die 2 Damen zu mir um mich zu kitzeln. Der Gedanke, dass ich in Italien, mit zwei Mädchen in einer Hängematte
liege, gefiel meiner damaligen Freundin nicht wirklich. Doch immerhin habe ich
mich gemeldet, das muss man mir doch gut anrechnen oder? Noch am selben Abend
flirtete Tom sehr innig mit Antonia, jedoch Chris und ich mussten die Finger
von Franziska lassen, da wir beide vergeben waren. Trotzdem unterbreche ich
hier die Geschichte für zwei Tage, da man ja nicht alles preisgeben muss. Ich kann nur sagen, wir haben diese Motorradpause, gutes Essen, eine
Dusche, den riesen Garten, Spaß und Unterhaltung und die Hängematte wirklich
sehr genossen.
Part 7: Und weiter geht's
Nach diesen 2 oder 3 erholsamen schönen Tagen
wollten wir wieder weiterfahren. Tom nicht ganz so gerne, da er sein neue gewonnenes
Schatzi verlassen musste, doch die Lust am Fahren zog uns auf die Motorräder.
Gott sei Dank erhielten wir während dieser Tage bei der Familie einen Anruf von
Tobi’s Oma, dass er gut daheim angekommen ist. Anscheinend ist er den ganzen
Weg, den wir in mehreren Tagen zurücklegten in zwei Tagen gefahren, ganz
alleine und ohne Landkarte. Irgendwie ist das auch eine starke Leistung.
An diesem Tag ging es sehr lange an der Westküste entlang und wir hatten
teilweise wieder sehr schöne Aussichten. Wir mussten sogar mit einer Fähre
einen Fluss überqueren, da die Straße nicht zur Verfügung stand. Gegen mittags
kamen wir in die Stadt „Rimini“. Chris machte dort einmal einen Klassenausflug
und kannte ein sehr gutes, aber preiswertes Restaurant. Zuerst stöberten wir
ein bisschen an den Ständen entlang, ob wir etwas brauchbares kaufen könnten und
danach speisten wir vorzüglich eine Pizza. Etwa 100km weiter in einer größeren Stadt
hielt Chris an, weil er schon wieder am Hinterrad einen Platten hatte. Was in
Deutschland unvorstellbar wäre, so hielt in Italien sofort ein kleiner, älterer,
temperamentvoller Italiener auf seinem Roller an und forderte mich auf, ihm zu folgen. Am Ziel
angekommen, stand ich vor einer Reifenwerksatt, die auch Motorradreifen im Angebot hatte. Also fuhr ich schnell wieder zurück zu den Anderen und Chris blieb nichts anderes
übrig, mir vorsichtig und langsam zu der Werkstatt zu folgen.
Unglücklicherweise machten die Mechaniker dann Siesta und wir warteten zwei
Stunden lang in der prallen Sonne.
Als endlich die Tore wieder geöffnet wurden, kümmerte sich ein junger
Mechaniker um Chris‘ Reifen. Gut für uns: In der Werkstatt war ein Cola-Automat
und wir ließen uns massenhaft gekühlte Coladosen aus dem Gerät. Später zeigte
uns der Kfzler, dass der erst vor kurzem in Italien eingesetzte Schlauch viel
zu groß war und nun geplatzt sei. Ärgerlich für Chris, schon wieder musste er
viel Geld bezahlen.
Also es konnte endlich weitergehen und es gab bis zur Schlafplatzsuche keine
Komplikationen. Leider kamen wir in ein Reichenviertel und die Menschen ließen
uns nicht in ihre Gärten. Ein paar Kilometer weiter entdeckte ich ein schäbiges
Häuschen am Straßenrande. Mein Gefühl sagte mir, dass wir hier übernachten
können. Und so war es auch. Neben dem Haus befand sich ein Feld, das dem
Hausbesitzer gehörte und er ließ uns dort die Zelte aufschlagen. Wir waren sehr müde und wollten früher schlafen gehen, doch die Hitze an diesem Tag war unerträglich. Der Schweiß lief uns im Zelt liegend am ganzen Körper herunter. Also entschieden wir uns noch einen Spaziergang zu machen. Einen Kilometer weiter nördlich, war ein Schild mit einem Zeichen, das für Übernachtungsmöglichkeit für Motorradfahrer stand. Tom witterte die Möglichkeit, Zigaretten zu kaufen. Plötzlich öffnete sich die Tür des Clubhauses und ein sehr großer, kräftiger Chopperfahrer mit langem Bart stand vor uns. Er sagte sehr langsam und mit extrem tiefer Stimme: „This is private Property. Leave now!!!!“. Wenn einem so etwas , von so einem Muskelprotz mitgeteilt wird, gehorcht man. Stattdessen entschied sich Tom, mit dem Motorrad zur Tankstelle zurückzufahren, Chris und ich blieben bei den Zelten zurück. Plötzlich kam eine Polizeistreife mit Blaulicht auf uns zu gefahren. Die zwei jungen Männer verhörten uns an Ort und Stelle, was wir hier machen, wo der dritte Motorradfahrer sei. Eine Ausweiskontrolle war obligatorisch. Ohne uns zu sagen, was deren Problem sei, fuhren sie wieder davon. Glück gehabt! Als Tom wieder zurückkam, sagte er, er hätte einen McDonalds auf der Strecke gesehen, nicht weit von hier. Weil wir noch sehr hungrig waren, gönnten wir uns noch ein bisschen Fast-Food.
Part 8: Der Unfall
Als wir also am nächsten Tag aufstanden, unseren Schlafplatz aufräumten, die Maschinen sattelten, lag komische Stimmung in der Luft. Uns war klar, dass wir an diesem Tag das letzte Mal in Italien übernachten werden. Wir stiegen auf unsere Bikes, starteten die Motoren und fuhren weiter gen Norden. „Norden“, das verbanden wir mit gutem Essen, Freunden (& Freundin), Familie und einem bequemen Bett. Den größten Teil der Route legten wir auf endlos geraden Strecken zurück. Diese kostenlosen ADAC-Karten waren einfach nicht dazu geeignet, uns landschaftlich schöne und kurvenreiche Strecken aufzuzeigen. Wir überquerten also den Aleghero und gelangten allmählich ins ehemals von Österreich besetzte Südtirol. Die Region verzauberte uns mit klasse asphaltierten Kurven, schöner Landschaft und einem pompösen Panorama am Horizont, den Alpen. In der Ferne sah ich eine Kurve mit einer Baustelle. Vor mir fuhr Chris, der sich mit seiner schlanken Cross gut in die Rechtskurve reinlegen konnte. Ich bremste ab und zerrte meine „Dicke“ auch nach rechts. Die Fußraste schliff natürlich wieder, wie immer. Eine Bodenwellte drückte von unten auf meinen Auspufftopf und hebelte damit mein Hinterrad hoch. Ohne Grip rutschte ich etwa einen halben Meter auf die Gegenfahrspur. Gott sei Dank kam mir kein Auto entgegen. 300m danach wieder auf der Geraden schaute ich in den Spiegel, doch Tom war verschwunden. Stattdessen hielten in der Kurve Autos an und schalteten die Warnblickanalage an. Ich drehte sofort um und fuhr hektisch zurück. Dort angekommen erblickte ich Tom am rechten Fahrbahnrand im Matsch liegend, auf ihm das Motorrad. Ich stellte seinen Chopper auf und verhalf ihm hoch. Er verlangte sofort eine Zigarette. Ich war froh, dass es ihm so gut ging, so dass sein erster Gedanke einer Kippe galt. Auch er unterschätzte diese Kurve, legte sich zu weit nach rechts und rutschte auf die Gegenfahrspur, auf der ihm ein silberner BMW entgegen kam. Da er sich nicht weiter nach rechts reinlegen konnte, lenkte er waghalsig nach links um vor der Motorhaube des BMW’s hinweg in den Seitenbereich der Gegenfahrspur zu fahren. Er hatte Glück, denn gerade einmal nur seine rechte Satteltasche schliff über die Motorhaube, hinterließ dort schwarze Streifen und er landete mitsamt seinem Bike im Matsch – unter einem Jesus-Kreuz (Zufall?)! Der Fahrer des BMW’s, ein nicht englischsprechender Afrikaner war sehr aufgebracht und redete sehr schnell. Wir nahmen den Unfallhergang auf, tauschten die wichtigsten Daten aus und bestiegen wieder die Maschinen. Die ganze Sache kostete uns dennoch viel Zeit und es wurde allmählich dunkel. Wir würden doch hoffentlich unsere letzte Nacht nicht in der Wildnis verbringen müssen? Wir kamen in das nächste Wohngebiet. Die Häuser waren im Vergleich zum Vormittag, sehr groß, zum Teil modern, viele Ferienhäuser mit deutscher Namensbeschriftung auf der Hauswand. Typisch Südtirol eben. Ich entdeckte ein nett aussehendes Häuschen mit großem Garten. Ein Ehepaar stand im Rasen und goss die Blumenbeete. Mir kamen die zwei sehr arrogant und wohlhabend vor. Eigentlich aus Spaß, um das Ehepaar zu ärgern, hielt ich an und fragte ob sie Deutsch sprechen können. Die Frau behjahte dies. „Guten Tag“, sagte ich „wir sind zu dritt auf einer Motorradtour durch Italien. Wir nicht genug Geld für Hotels, daher wollte ich Sie fragen, ob wir in Ihrem Garten eine Nacht zelten dürfen“. Bevor sie antwortete, schaute sie ihren Mann argwöhnisch an und zog an ihrem langen Nuttenstengel. Zu aller Überraschung (selbst ihr Mann war verblüfft), teilte sie uns mit, dass wir im Garten hinterm Haus die Zelte aufschlagen dürften, wenn es nur für eine Nacht sei und wir den Platz sauber hinterlassen. Nachdem wir die Zelte aufgeschlagen und ein paar Toasts gegessen hatten, kam der Hausherr mit ein einigen Flaschen Bier zu uns raus und setzte sich an den Gartentisch (s. Bild). Er wirkte nun irgendwie jünger und wollte neugierig wissen, was wir bisher so erlebt hatten und mit leuchtenden Augen berichteten wir jedes kleine Detail, bevor wir in die Schlafsäcke krochen. Gute Nacht Italien.
Part 9: Auf nach Hause!
Am nächsten Morgen packten wir alles zusammen, um eben dem Ehepaar zu
signalisieren, dass wir halten, was wir versprochen hatten. Ein paar Minuten
später begrüßte uns die Hausherrin sehr herzlich und bot uns an, am Frühstück teilzunehmen, würden wir vorher eine Dusche nehmen. Mal ehrlich, wer würde das ablehnen. Am
Frühstückstisch eröffnete sich uns die größte Auswahl an Brotaufstrichen, Wurst
und Käse, die ich nicht einmal von daheim kannte. Die Hausherrin wirkte nun
sehr freundlich und bodenständig. Sie erzählte uns, dass wir mit unserer Bitte
alte Muttergefühle in ihr geweckt hatten und sie einfach nicht anders konnte,
als uns hier übernachten zu lassen. Ihr kam nämlich der Gedanke, würde ihr Sohn bei einem solchen Abenteuer dabei sein, wünsche sie sich auch, dass er zumindest irgendwo bei netten Familien im Garten schlafen könne. Verrücktes Italien! Fast schweren Herzens
verließen wir das Haus, das so voll war mit Gastfreundschaft. Zu unserer
Überraschung drückte uns die Frau sogar ganz fest, Wahnsinn! Wieder auf den
Bikes kamen wir schnell in die Alpen, nach Österreich und überquerten die Berge
wieder auf dem alten Brennerpass. Die Kurven heizten uns ein letztes Mal
richtig ein und es war, als wollten all unsere Gastgeber, jede
italienische Kurve und jedes Sandkorn auf der Straße sich von uns verabschieden
und die Sonne, die wünschte uns viel Spaß im kaltnassen Deutschland. Am späten
Nachmittag kamen wir wieder in dem kleinen Dorf in der Nähe von München an. Ich
fuhr vorsichtig auf den Schotter, klappte meinen Seitenständer aus und stellte
die Maschine ab. Dass diese wahnwitzige Hammertour nun zu Ende sein würde,
konnte ich noch nicht begreifen. Ich saß auf meinem Motorrad und fühlte nur,
dass ich wieder zurück wollte in den Süden, zu italienischem Wein, Sonne und
Kurven.